Zensurmaschine

Gastbeitrag | von Thomas Elbel

Warum die Copyright-Richtlinie keine Zensur einführt, die Meinungsfreiheit nicht zerstört und auch sonst mit dem Grundgesetz im Einklang ist.

Der Professor für Öffentliches Recht und Schriftsteller Thomas Elbel über die verfassungsrechtlichen Implikationen des heiß umkämpften Artikels 13 im Gesamtkontext der EU-Urheberrechtsrichtlinie.

Thomas Elbel
Thomas Elbel. Foto: Harry Schnitger

Der Vorwurf der ZENSUR

Überall heißt es, die Copyright-Richtlinie führe zu Zensurmaschinen. Jetzt steht natürlich jedem sein eigener Zensurbegriff frei, aber die Bezeichnung macht nach meinem Verständnis nur dann Sinn, wenn sie zu Recht auf den verfassungsrechtlichen Zensurbegriff des Art. 5 Abs. 1 S. 3 des Grundgesetzes gründet. Schon Internet-Doyen Sascha Lobo hat in einer Kolumne auf SPON vom 2.1.19 („Blocken in sozialen Medien ist Freiheit, keine Zensur“) darauf hingewiesen, dass eine Überdehnung des Zensurbegriffes unsinnig ist. Er wird dadurch am Ende zu einer sinnfreien Leerformel, der keine Bezeichnungsmacht mehr zukommt. Die Uploadfilter, von denen in der Debatte um die Copyright-Richtlinie die Rede ist, sind aber aus zwei Gründen niemals Zensur.

Ich will jetzt gar nicht davon anfangen, dass der umstrittene Art. 13 der Copyright-Richtlinie Filter gar nicht zwingend vorschreibt. Der Hase liegt nämlich woanders im Pfeffer. Das vergleichsweise schwächere Argument wäre zunächst einmal, dass wenn ein solcher Filter z.B. von YouTube (soll jetzt mal stellvertretend für die betroffenen Plattformen stehen) eingerichtet würde, dieser ja ein privates Instrument wäre.

Der verfassungsrechtliche Zensurbegriff erfasst aber nur staatliche Eingriffe in den Meinungsmarkt.

Wäre auch ein privater Eingriff Zensur, wäre ja jede Ausübung der Richtlinienkompetenz eines Zeitungsverlegers ein Fall von Zensur.

Man könnte natürlich insoweit gegenargumentieren, dass die Filter hier indirekt vom Staat vorgegeben wären, jedenfalls wenn man in der Richtlinie eine entsprechende Verpflichtung mittelbar erkennen will, aber selbst dann fehlt für Zensur noch ein weiterer wichtiger Aspekt, nämlich die Gezieltheit des Eingriffs. Zensur im Sinne des Grundgesetzes ist nämlich nicht jeder beliebige staatliche Eingriff in den Meinungsaustausch, sondern nur ein solcher, der gezielt in einen bestimmten Teil des Meinungsspektrums eingreift, z.B. ein Verbot aller Gegenäußerungen zur Copyright-Richtlinie. Ein unterschiedsloser Eingriff in alle Meinungen aber, egal ob nun links, rechts, liberal oder was auch immer, ist keine Zensur. Diese Interpretation des Zensurbegriffes ergibt sich aus der Zusammenschau des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG mit Abs. 2 derselben Vorschrift, wo es heißt, dass die Rechte aus Abs. 1 unter der Schranke der „allgemeinen Gesetze“ stehen. Der Staat darf also durchaus in die Meinungsfreiheit eingreifen, so lange der Eingriff lediglich „allgemein“ oder im Sinne meiner vorangegangenen Begriffsbildung „ungezielt“ ist.

Diese Auslegung des Zensurbegriffs ergibt sich z.B. aus folgendem Zitat aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

„Unzutreffend ist die Annahme des Beschwerdeführers, das Verbot der Verbreitung komme einer Vorzensur gleich. Art. 5 GG, der das Zensurverbot aus Absatz 1 Satz 3 neben die Schrankenbestimmung des Absatzes 2 stellt, verdeutlicht schon durch dieses Nebeneinander, dass das Zensurverbot nicht betroffen ist, wenn zur Durchsetzung eines in einem allgemeinen Gesetz geschützten Rechtsguts die dort vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten genutzt werden. Eine auf die Unterlassung einer konkreten Persönlichkeitsverletzung zielende gerichtliche Entscheidung steht der behördlichen Vorprüfung oder Genehmigung des Inhalts einer Veröffentlichung nicht gleich (zum Zensurverbot vgl. BVerfGE 33, 52 <71 ff.>).“; aus: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/05/rk20060502_1bvr050701.html

Uploadfilter können also in diesem Sinne auch deswegen keine Zensur sein, da sie unterschiedslos das gesamte Meinungsspektrum betreffen.

Trotzdem findet sich das besagte Mem von den Uploadfiltern als Zensurmaschinen in gefühlt jedem zweiten kritischen Beitrag zur Copyright-Richtlinie, so z.B. auch in einem Beitrag vom 28.2.19 auf dem Blog des von urheberrechtskritischen Stimmen seit Jahren immer wieder gern zitierten Münchner Anwalts Thomas Stadler. Der sehr stimmgewaltige Herr Stadler wird einem ob seiner vielfachen Äußerungen zu allen möglichen Themen des Medienrechts darum auch immer wieder gerne als Experte präsentiert. Leider scheint der Gedanke weniger populär, dass derartige Anwaltsblogs ja in erster Linie auch Werbeplattformen sind, die sich inhaltlich primär an die jeweilige Mandantschaft richten. Schaut man sich die Tätigkeitsschwerpunkte von Herrn Stadler auf dessen Anwaltswebsite an, so fällt auf, dass er vornehmlich um Mandantschaft wirbt, die aus medienrechtlichen Vorschriften in Haftung genommen wird. Es ist nicht weiter verwunderlich, wenn er in seinen öffentlichen Äußerungen diesem Klientel sympathische Positionen einnimmt. Da müsste man doch derartige Äußerungen eigentlich mit einem Körnchen Salz nehmen. Aber in der öffentlichen Debatte wirkt es mitunter, als ob Herr Stadler, oder sein auch sehr gern zitierter Kollege Solmecke in ihren Blogs quasi neutrale und wissenschaftlich fundierte Fachartikel zum Besten geben.

Der Vorwurf der EINSCHRÄNKUNG DER MEINUNGSFREIHEIT

Aber das ist nicht der einzige Behauptungsfehler der Richtliniengegner. Ein weiteres Beispiel: Eine der Kernaussagen der Gegnerschaft von Art. 13 ist ja sinngemäß: Uploadfilter führen zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Meinungsfreiheit, weil sie eine immense Anzahl so genannter „False Positives“ produzieren werden. Denn eine KI kann z.B. nicht erkennen, dass statt einer Urheberrechtsverletzung nur eine gesetzlich erlaubte Parodie oder ein Zitat vorliegt (letzteres hat mich übrigens nie überzeugt; warum sollte eine KI nicht den Unterschied zwischen Original und Teilmenge des Originals erkennen, aber wie auch immer).

Was mich an dieser Behauptung stört ist, dass sie aus einer Kette von Axiomen, also beleglosen Tatsachenbehauptungen („KI kann nicht erkennen, dass …“) und ebenso beleglosen oder letztlich sinnfreien, weil referenzlosen Bewertungen („immense Anzahl von False Positives“) zusammengesetzt ist.

Ich möchte etwas näher ausführen, wie ich das meine. Dazu möchte ich so tun, als sei Art. 13 bereits erlassen und findige Gegner versuchten nun, der Vorschrift auf dem Rechtsweg den Garaus zu machen, denn das ist ja auch kein völlig unrealistisches Szenario. Ich hoffe, die geneigten Leserinnen und Leser interpretieren es nicht allzu sehr als berufliche Eitelkeit, wenn ich behaupte, dass eine derartige juristische Betrachtungsweise hilft, der obigen Behauptung den Nebel auszutreiben. Dazu beginne ich mit einem Beispielssachverhalt:

Der deutsche Staatsbürger Ulrich Uploader (U) lädt die berühmte Würgeszene mit Darth Vader und Moff Tarkin aus Star Wars IV auf YouTube hoch. Der Szene ist eine für eine halbe Sekunde sichtbare Tafel mit dem Text „Groko-Kabinett-Besprechung“ vorgeschaltet. U will das als Kritik an der momentanen Regierung und ihrer Liebe zu „imperialer Politik“ verstanden wissen.

Unterstellen wir für Zwecke des Falles mal, dass der Filmrechteinhaber der betreffenden Szene ein europäisches Unternehmen wäre. Dieses Unternehmen hat YouTube keine Lizenz zum Zeigen des Films oder von Ausschnitten davon gegeben. Selbstverständlich sind alle bekannten Schranken des deutschen Urheberrechts (Zitat, Parodie etc.) anwendbar. YouTube hat sich entschieden, das Problem des Hochladens nichtlizenzierter Filme – wie jeher – durch sein Filtersystem ContentID zu lösen, das seit Einführung des Art. 13 flächendeckend eingesetzt wird.

ContentID identifiziert das von U hochgeladene Video trotz der vorgeschalteten Texttafel als schlichten Filmausschnitt und löscht ihn daher noch vor Abschluss des Hochladevorgangs.

U beschwert sich bei YouTube über das von der Richtlinie vorgesehene Beschwerdeverfahren (Art. 13 Abs. 8 des aktuellen Entwurfes). Würde YouTube dem nun stattgeben und den Content hochladen, wäre der Fall hier bereits zu Ende, da U ja bekommen hätte, was er will. Gehen wir also davon aus, dass YouTube – im Rahmen der Nachkontrolle, die nunmehr logischerweise von einem echten Menschen durchgeführt wird – nicht abhilft, weil man dort der Meinung ist, die Szene stelle allein aufgrund der vorgeschalteten Tafel keine Parodie im Sinne der auf U anwendbaren deutschen Schrankenbestimmungen und ihrer europäischen Ausgangsnormen dar.

Was kann U jetzt noch machen?
Richtig. Klagen

Erster Teil: Rechtsstreit U vs. YouTube – 1. Instanz

Es stellt sich die Frage: Wo würde U eigentlich klagen? Da es sich hier im Kern um einen Rechtsstreit über die Reichweite einer deutschen Urheberrechtsschrankenbestimmung – also Zivilrecht – handelt, und beide Parteien, YouTube und U sich auf Augenhöhe begegnen, mithin der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist, geht der Rechtsstreit zur ordentlichen Gerichtsbarkeit. Meinen eigenen Recherchen zufolge ist in so einem Fall eine Überschreitung der Streitwertgrenzen für einen Rechtsstreit beim Landgericht durchaus denkbar. Gehen wir also mal davon aus, die 1. Instanz findet vor der Zivilkammer eines deutschen Landgerichts statt. Gewinnt U, ist der Rechtsstreit wiederum zu Ende, da er bekommen hat, was er will. YouTube müsste den Clip dann hochladen. Also gehen wir davon aus, dass das Landgericht YouTubes Argumentation aus dem Beschwerdeverfahren folgt und den Clip als von den deutschen Schrankenbestimmung nicht erfasst ansieht.

Zweiter Teil: Berufung

Genauso geht es dann vor dem Oberlandesgericht weiter.

Dritter Teil: Revision

Und schließlich – wenn die Revision zugelassen wird (was ich angesichts der Tatsache, dass Streits um die Reichweite urheberrechtlicher Schrankenbestimmungen heutzutage wohl kaum grundsätzliche Bedeutung haben dürften, allerdings für eher unwahrscheinlich halte) – auch vor dem BGH, der sich dann, damit es mit unserer Betrachtung weitergehen kann, ebenfalls YouTubes Sicht anschließt, es handele sich nicht um eine Parodie.

Sodele.

Und jetzt käme (jedenfalls in Abwesenheit einer auch von den Untergerichten initiierbaren so genannten konkreten Normenkontrolle i.S.v. Art. 100 GG) überhaupt erst und auch nur eventuell das BVerfG ins Spiel. Nämlich dann, wenn der U – seinen Misserfolg bis hierhin unterstellt – Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BGH erhebt.

Nun muss man allerdings wissen, dass das BVerfG – anders als z.B. der US Supreme Court – keine „Superrevisionsinstanz“ ist. D.h. es würde sicher nicht nur deshalb tätig, weil z.B. der BGH bei der Auslegung der urheberrechtlichen Schrankenbestimmung etwas zu engstirnig war.

Ich halte es daher für wahrscheinlich, dass das BVerfG eine derartige Beschwerde gar nicht erst zur Entscheidung annehmen würde.

Aber unterstellen wir aber mal „for the sake of the argument“, das BVerfG würde den Rechtsstreit zur Überprüfung annehmen. Dann wäre Prozessstoff aber wiederum nur die Frage der Weite der urheberrechtlichen Schrankenbestimmung zur Parodie und ob YouTube in diesem Sinne zur Löschung berechtigt war oder nicht.

Die Richtlinie würde in diesem Rechtsstreit also gar keine direkte Rolle spielen. Sie könnte daher m.E. auch nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung sein.

Und selbst wenn sie das wäre und U sich irgendwie – ich weiß nicht wie, aber unterstellen wir einfach, es ginge – darauf beriefe, dass der Einsatz der Filter durch YouTube in seinem Fall sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt. Was wäre denn dann?

Nun dann würde zuerst mal die Frage im Raum stehen, ob die Meinungsfreiheit im Verhältnis zwischen U und YouTube überhaupt Anwendung findet, denn die Grundrechte unserer Verfassung binden laut Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz primär nur den deutschen Staat und nicht irgendwelche amerikanischen Unternehmen.

Etwas anderes könnte höchstens gelten, wenn wir der Lehre des BVerfG von der Einstrahlungswirkung der Grundrechte in privatrechtliche Rechtsverhältnisse folgen und die Frage stellen, welche Auswirkung die Meinungsfreiheit auf die Entscheidung YouTubes hätte, Uploadfilter zum Einsatz zu bringen. Und damit wir jetzt irgendwie – ich weiß nicht genau wie – zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Richtlinie kommen, um die es den Art.-13-Gegnern ja eigentlich geht, nehme ich an, müsste YouTube nun die recht gewagte Argumentation aufmachen, dass die Richtlinie YouTube zur Anwendung von Uploadfiltern quasi zwingt.

Darauf würde ich als Verfassungsrichter fragen, wo denn in der besagten Richtlinie irgendetwas von Uploadfiltern steht. YouTube würde kurz rot anlaufen und dann irgendetwas von ökonomisch einzig handhabbarer Lösung faseln. Der Verfassungsrichter würde dem dann aber möglicherweise entgegenhalten, dass ein Unternehmen mit geschätzten 8 Milliarden Werbeeinnahmen im Jahre 2019 das Problem der Filterung doch eventuell auch mit einer Kombination aus künstlicher UND humanoider Intelligenz lösen könne. Der YouTube-Anwalt würde sich nun mächtig aufplustern und geltend machen, dass man da ja angesichts von 400h Uploads pro Minute ganze Armeen von Personal anstellen müsste. Die Richter würden wiederum einwenden, die Tatsache, dass stattdessen eine rein automatisierte Filterung angewandt werden solle, sei ökonomisch sicherlich nachvollziehbar, aber letztendlich eben doch eine autonome Entscheidung des Konzerns und könne nicht dem Gesetzgeber angelastet werden, was man ja auch daran sehe, dass ContentID auch schon vor Erlass der Richtlinie angewandt wurde. Gewinnschmälerungen, die wiederum durch eine grundrechtsfreundlichere Variante verursacht würden, müssten vom Konzern dann eben hingenommen werden. Außerdem, so würde ein besonders findiger Verfassungsrichter einwenden, sei es ja kein Naturgesetz, dass Youtube-Postings immer schon wenige Augenblicke nach dem Upload veröffentlicht sein müssten. Eine gewisse Wartezeit sei aus Sicht der User sicherlich auch vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit hinnehmbar. Wer einen papiernen Leserbrief an die Zeitung schreibe, müsse ja auch damit rechnen, dass dieser erst ein paar Tage später veröffentlicht werde. Manchmal sei eine gewisse Entschleunigung in einer Debatte ja vielleicht sogar qualitätsfördernd, würde der Richter mit süffisantem Lächeln hinzufügen.

Was es abzuwägen gilt

Warum dieser detaillierte Ausblick des Verlaufs der Klage eines Bürgers gegen eine von ihm behauptete False-Positive-Löschung? Um zu demonstrieren, dass der Streitstoff hier nicht die platte Frage „Uploadfilter, ja oder nein“ sein wird, sondern eher die Frage, ob YouTube den beiden Vorgaben der Richtlinie „best efforts“ gegenüber den Rechteinhabern und „Verhältnismäßigkeit“ gegenüber den Nutzern gerecht geworden ist. Dabei spielen YouTubes ökonomische Erwägungen m.E. nur eine untergeordnete Rolle, denn es kann von einem Unternehmen erwartet werden, dass es jeden erdenklichen Aufwand auf sich nimmt, wenn es darum geht zu gewährleisten, dass sein Geschäftsmodell die Rechte Dritter nicht verletzt.

Alte Bekannte: Von Störern und Tätern

An dieser Stelle ist vielleicht ein kleiner Exkurs ganz passend: Haben Sie, liebe Leser, im Zusammenhang mit der Urheberrechtsdebatte auch schon den Begriff der Störerhaftung gehört und sich gefragt, was damit gemeint ist? Vor zwei bis drei Jahren war damit im Zusammenhang mit der Haftung von privaten Betreibern offener W-LANs viel die Rede. Damals hieß es oft, den armen W-LAN-Betreibern solle etwas völlig Exotisches übergeholfen werden. Ich als Jurist habe mir da nur die Augen gerieben, denn die Störerhaftung ist im deutschen Zivilrecht eigentlich der Default. Auf ihren abstrakten Kern zurückgeführt, bedeutet Störerhaftung, dass ich Ihnen dafür hafte, wenn mein Eigentum schädlich auf Ihr Eigentum einwirkt. Wenn also meine Brieftaubenzucht dazu führt, dass ihre Hauszufahrt immer voller Taubenkot ist, hafte ich ihnen auf Entfernung.

Störerhaftung erfasst darüber hinaus aber auch noch den Fall, dass mein Eigentum so konfiguriert ist, dass es Dritten die Möglichkeit gibt, schädlich auf Ihr Eigentum einzuwirken. In diesem Fall hafte ich – etwas vergröbert ausgedrückt – dann, wenn ich (a) davon weiß, (b) nicht gegen die Dritten einschreite und wenn (c) eine direkte Inanspruchnahme der Dritten durch Sie nicht erfolgversprechend ist. Beispiel: Ich veranstalte in meiner Schreberlaube regelmäßig Partys, bei denen meine Gäste den Müll auch in ihren angrenzenden Garten entsorgen. Ihre Tulpenzucht leidet massiv. Auf entsprechenden Hinweis von Ihnen gebe ich zu Protokoll, dass Partys nun mal zum Leben dazu gehören. Außerdem bin ich aus Datenschutzgründen nicht bereit, Ihnen die Namen meiner Gäste zu verraten. In solch einem Fall hätten Sie gute Chancen, sich die Instandsetzungskosten bei mir gerichtlich zu erklagen.
Zurück zu YouTube und den anderen UGC-Plattformen: Im Sinne des Konstrukts der Störerhaftung müsste YouTube eigentlich sowieso für die Rechtsverletzungen haften, die die Nutzer vermittelst der Plattform an den Urheberrechten Dritter verursachen. Dass dem heute nicht so ist, liegt daran, dass YouTube durch das so genannte Providerprivileg des § 10 TMG von der Störerhaftung ausgenommen ist. Das muss man sich für die Zwecke der aktuellen Debatte mal deutlich vor Augen führen: Die Störerhaftung ist der Default, das Providerprivileg die Ausnahme.

Wie kam es eigentlich dazu? Weil in den 90er-Jahren eine gewisse gelb-blaue Partei der ultimativen Freiheit mit an der Regierung war. Diese hat damals das Argument geäußert, dass sich, wenn für die Netzwirtschaft dasselbe Haftungsregime gälte wie für Otto Normalverbraucher, das noch junge Internet nie mit Angeboten bevölkern würde. Heute wissen wir, dass das Internet bis an die Halskrause „bevölkert“ ist, aber Bitkom, Eco und wie sie alle heißen, krallen sich – aus ökonomischer Perspektive völlig verständlich – an ihrem Privileg fest. Die Copyright-Richtlinie ist insoweit auch ein Versuch, den Normalzustand der Haftung wieder herzustellen. Man könnte polemisch ausgedrückt konstatieren, dass die Urheber auf Grundlage der derzeit noch geltende Privilegierung die offensichtlich in eternam perpetuierte Startup-Phase der großen Internetplattformen mitfinanzieren.

Aber zurück zu den prozessualen Möglichkeiten, die Copyright-Richtlinie überprüfen zu lassen:

Nun kann man sich fragen, wie man denn dann zu einer Direktüberprüfung der (in der Richtlinie eigentlich gar nicht statuierten) Uploadfilter-„Pflicht“ durch die Verfassungsbeschwerde eines Einzelnen kommen würde, wenn es auf dem bereits beschriebenen Weg nicht so richtig klappt?
Die Antwort wäre: indem der WIRKLICHE Direktbetroffene gegen die Richtlinie klagt und das wäre im Ausgangsfall eben nicht U, sondern YouTube (oder eine andere betroffene Plattform).

Überprüfung der RL, Option a: Klage der Plattform

Jetzt könnte man gleich die Frage stellen, wogegen YouTube denn klagen würde, weil es in dem Ausgangsfall selbst ja gar nicht beschwert wäre und das deutsche Recht kennt keine Popularklage, wo man quasi gegen anderer Leute Elend zu Felde zieht. Eine Klage YouTube vs. Copyright-Richtlinie wäre daher nur dann denkbar, wenn YouTube z.B. gegen eine sanktionsbewehrte Pflichtnorm aus dem deutschen Umsetzungsgesetz verstoßen würde.
Beispiel: YouTube verweigert sich sowohl der Lizenzierung als auch irgendwelcher Form der vorauseilenden oder nachträglichen Löschung nichtlizenzierter Inhalte und wird daher mit einer Ordnungswidrigkeitenstrafe belegt.

Dann könnte YouTube gegen den betreffenden Verwaltungsakt erst mal Beschwerde vor den ordentlichen Gerichten (in diesem Fall Strafgerichtsbarkeit) erheben und bei Nichterfolg dann damit vor das Verfassungsgericht ziehen.

In diesem Fall wäre es in der Tat denkbar, dass das Verfassungsgericht die Pflichten von YouTube unter dem deutschen Umsetzungsgesetz zur Richtlinie beleuchtet. Allerdings geht es dann auf YouTubes Seite vorrangig gar nicht mehr um das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, sondern – wie auch auf Urheberseite – um die Grundrechte der Berufsfreiheit und der Eigentumsfreiheit (bzw. noch genauer das Grundrecht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb). Denn YouTube versteht sich ja bekanntlich ausschließlich als „Plattform“. D.h. YouTube möchte sich den Inhalt hochgeladener Clips auf gar keinen Fall zu eigen machen und würde sich in dem beschriebenen Fall daher sicherlich nie auf die Meinungsfreiheit berufen. Noch weniger könnte YouTube eine Beschränkung der Meinungsfreiheit seiner Nutzer geltend machen, denn das wäre wiederum ein Fall der oben beschriebenen und in Deutschland nicht vorgesehenen Popularklage (s.o.).

Auch auf diesem Wege kommt man also nicht zu dem Ziel einer Überprüfung von Art. 13 Abs. 4 der Copyright-Richtlinie („ensure the unavailability“) im Lichte des Grundrechts der Meinungsfreiheit.

Überprüfung der RL, Option b: Normenkontrollklage

Eine weitere realistische Möglichkeit wäre eine so genannte abstrakte Normenkontrollklage, die z.B. von der Opposition erhoben werden könnte. Argumente für eine Verfassungswidrigkeit der Richtlinie bzw. des deutschen Umsetzungsgesetzes müsste nach den schon auf das römische Recht zurückgehenden Regeln des streitigen Parteienprozesses in diesem Fall allerdings zuerst einmal der Antragsteller und nicht die verteidigende Bundesregierung bringen. Klingt trivial, ist aber bedeutsam. Man könnte salopp sagen: Das deutsche Prozessrecht legt Rollen fest. Der Kläger (z.B. die klagende Opposition) ist der Angreifer, der Beklagte (die Bundesregierung, die den Gesetzentwurf verantwortet) ist der Verteidiger. Nach den prozessualen Regeln muss der Angreifer erst einmal Argumente für seine These liefern, das Gesetz sei verfassungswidrig.

Und dann müssten die Gegner endlich Butter bei die Fische tun.

Es reicht ab diesem Punkt eben nicht mehr aus, mit Leerformeln wie „desaströs“ zu arbeiten.

Selbstverständlich wird es bei unterstelltem Einsatz von Uploadfiltern „False Positives“ geben. Aber im Verfassungsrecht gilt das Prinzip der praktischen Konkordanz. Und das bedeutet, der de lege ferenda durch False Positives entstehende Schaden für die Meinungsfreiheit müsste gegen den de lege lata bereits existierenden und jeden Tag wachsenden Schaden für die Eigentumsfreiheit der Urheber abgewogen werden. Letzterer ist auch unter dem Begriff Value Gap bekannt und wissenschaftlich schon recht gut untersucht (Bsp.: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-20265-1_12).

Zu dem erwarteten Schaden durch False Positives gibt es hingegen nur eine Menge belegfreie Glaskugelei der Art.-13-Gegner. Wobei Glaskugelei schon zu viel gesagt ist, denn der Schaden wird ja einfach nur behauptet, ohne ihn irgendwie zu konkretisieren oder zu begründen.

FAZIT: Entwarnung

Ich persönlich vermute, dass das Problem maßlos überschätzt wird und will auch erklären, warum. Man stelle sich eine gigantische Torte vor. Diese Torte ist der globale zwischenmenschliche Austausch über alle denkbaren Kanäle von Buschtrommeln bis Satellitenhandy. Von dieser Torte ist m.E. nur ein eher kleiner Teil internetgestützt. Von diesem internetgestützten Teil entfällt wiederum nur ein kleiner Teil auf die von Art. 13 Copyright-Richtlinie erfassten Plattformen. Von diesem kleineren Stück eines kleineren Stücks beinhaltet jetzt wiederum nur ein kleiner Bruchteil Drittcontent. Von diesem Bruchteil eines Bruchteils eines Bruchteils werden die gefürchteten Filter wiederum nur einen Bruchteil erfassen und nur ein Bruchteil davon wird letztendlich tatsächlich „False Positives“ aufweisen.

Unter dem Strich wird durch False Positives also nur ein verschwindend geringer Teil der globalen Gesamtkommunikation erfasst. Ein Verfassungsgericht, welches diesen Schaden gegenüber dem Schaden des Value Gap abwägt, wird auch in Rechnung ziehen, dass das Kommunikationshindernis durch Filterung ja kein endgültiges ist, denn der von einer solchen Filterung Betroffene hat andere Möglichkeiten seine Meinung zu äußern, nämlich

  1. den in der Richtlinie vorgesehenen Redress-Mechanismus (Art. 13 Abs. 8);
  2. den Rechtsweg;
  3. die Möglichkeit, seine Meinung ohne das für die Filter problematische Beiwerk auf demselben Wege noch mal zu posten (der U aus unserem Ausgangspunkt schreibt dann eine Videotafel mit dem Inhalt die „GroKo ist imperialer als der Todesstern“ und lädt sie hoch) oder
  4. die Veröffentlichung seiner Meinung über einen anderen Kanal (nicht von Art. 13 erfasste Plattform oder außerhalb des Internets).

Zieht man hierzu auch noch die diversen Safeguards der Richtlinie in Betracht, wie z.B. den Verweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 13 Abs. 4 a), die ausdrückliche Ausnahme von Schrankenbestimmungen zu Zitat, Parodie etc. (Art. 13 Abs. 5), das Verbot genereller Überwachung (Art. 13 Abs. 7) und die Ausnahmen für Startup-SMEs, kann ich mir ehrlich gesagt kaum vorstellen, dass der zu erwartende Schaden für die Meinungsfreiheit als so „desaströs“ eingeschätzt wird, dass er durch die Eindämmung des „Value Gap“ nicht aufgewogen wird.

Dabei wird möglicherweise auch eine Rolle spielen, dass die Bundesverfassungsrichterinnen und –richter alle in einem Alter sind, welches es ihnen ermöglicht, sich daran zu erinnern, dass es auch schon vor dem Internet möglich war, Meinungsaustausch zu betreiben. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Richterschaft sich von dem so gern vorgebrachten Argument beeindrucken lässt, es handele sich bei ihr um einen Haufen alter Menschen, die das Internet nicht verstanden haben. Für mich übrigens nebenbei gesagt eine besonders platte und bösartige Form von Ageismus. Man könnte genauso gut oder vielmehr schlecht behaupten, netzaffine, junge Menschen hätten die Fähigkeit verloren, über den Tellerrand des Internets hinauszuschauen.

Leider ist eine Debatte in dieser analytischen Tiefe derzeit nicht mehr möglich und zwar spätestens seit MdEP Julia Reda auf die geniale Idee verfallen ist, mit platten Lügen wie „Memes werden verboten“ Teenager zur politischen Beeinflussung ihrer Eltern zu instrumentalisieren.

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TL;DR: Alle Gegner des Art. 13 reden von Zensur und den „desaströsen“ Auswirkungen der zu erwartenden Uploadfilter, dabei

  • ist die Frage der Einrichtung wie auch der genauen Konfiguration der Filter (nur Maschine oder Mensch & Maschine) letztlich eine autonome Entscheidung der Plattformen;
  • ist die angebliche Desaströsität für die Meinungsfreiheit nicht nur völlig unbelegt, sondern auch noch kontraintuitiv und
  • würde diese bei einer verfassungsrechtlichen Überprüfung mit den Schäden durch den Value Gap abgewogen werden;
  • sind Uploadfilter beim besten Willen keine Zensur im rechtlichen Sinne.

_________ [edit, mh 4,3,2019] ___________

Liebe Kommentierende,

leider lassen es meine Familie und meine beiden Brotberufe nicht zu, mich angemessen mit Ihren Kommentaren auseinanderzusetzen. Ich bitte daher um Verständnis, wenn ich nicht mehr selbst in die Debatte eingreife. Ich freue mich aber, dass mein Beitrag offensichtlich zu weiterem Nachdenken angeregt hat. Bitte missverstehen Sie mein Schweigen nicht als mangelnde Wertschätzung Ihrer Kommentare.

Mit freundlichen Grüßen,

Thomas Elbel

Nachruf …, äh: -schlag

Die Neue Musikzeitung NMZ hat mich um einen Nachschlag zur EU-Urheberrechtsrichtlinie gebeten, von der ja nun, Stand 5.2.2019, immer noch niemand weiß, ob und wenn wie.

Jedenfalls: Kannse haben, die NMZ.
https://www.nmz.de/artikel/neues-vom-urheberrechtsextremisten

Während ich das schreibe, sitze ich im Thalys nach Brüssel. Retten, was zu retten ist. Hilft ja nix.

Digitaler Feudalismus

 Die Freiheit sei in Gefahr, heißt es. Das Internet, so wie wir es kennen, stehe vor dem Ende und drohe kaputtzugehen. Dabei ist das Internet längst kaputt. Und die Ankündigungen seines Endes seit zwei Dekaden vertraute Folklore. Wenn wir nicht beginnen, das Netz grundrechtskompatibel nach den Prinzipien der Vielfalt und Nachhaltigkeit zu gestalten, geben wir die letzten Reste tatsächlich vorhandener Freiheit auf.

Eigentlich bin ich ja Komponist und Musikproduzent. Zur Zeit jedoch, ist mein Leben voll von unendlichen, sich verzweigenden, gelegentlich verständnisvollen, oft wütend-aggressiven Auseinandersetzungen um den vom Rechtsausschuss des EU-Parlaments verabschiedeten Richtlinienentwurf zur Vereinheitlichung des Urheberrechts im Digitalen Binnenmarkt.

Das Verrückte an der Situation – und ich bitte darum, das Wort wörtlich zu nehmen: es ist etwas verrückt, verschoben, nicht mehr an seinem Platz – ist die offenbar mehr oder weniger unauflösliche Lagerbildung. So fallen alle Befürworter der in Artikel 13 vorgeschlagenen Regel unter den Pauschalverdacht, leichtfertig die Meinungsfreiheit infrage zu stellen – darunter unter anderem die Aktivistinnen und Aktivisten vom PEN-Zentrum Deutschland, die unter größtem persönlichen Einsatz verfolgte Schriftsteller und Journalisten aufnehmen, betreuen, verteidigen: absurd.

Ein Hinweis auf die Blindheit, mit der wir alle – sicher auch ich – durch unsere Kriegsgräbenperspektive geschlagen sind. Von so weit unten kann man kaum einen Überblick gewinnen.

Was aber zwingend nötig wäre, das ist einerseits eine holistische Perspektive. Es geht um viel. Ja, auch um Technologie, um das Netz, vor allem aber geht es doch wohl um die Menschen, die es nutzen, und um gesellschaftliche Räume.

Da wir die Räume unseres digitalen Zusammenlebens über Richtlinien wie diese gestalten, wäre andererseits ein sehr viel sorgfältigerer Blick auf Hintergründe, Strukturen, Details und auch auf tangierte Rechte vonnöten. Selbstverständlich sind Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit nicht verhandelbar; bei allem grundsätzlichen Dissens kann ich in diesem Punkt nur Gemeinsamkeiten zwischen den Lagern erkennen. Gleichzeitig ist die Aushandlung fairer und nachhaltiger Beschäftigungs- und Beteiligungsbedingungen gerade angesichts der nach wie vor weitgehend unregulierten Vormacht supranationaler, oft monopolistischer Infrastrukturanbieter und Intermediäre unverzichtbar und zusehends unaufschiebbar. Gemeinhin wird die Kultur- und Kreativwirtschaft, mit ihrem außerordentlich hohen Anteil an Soloselbständigen, als Experimentierfeld für eine neue, digitale Erwerbswelt betrachtet. Doch die Plattformökonomie schafft Fakten, formt Strukturen, und das oftmals alleine auf Basis renditeorientierter korporatistischer Anliegen und abseits jeglicher Gemeinwohlorientierung.

Es bedarf dringend, unbedingt und umgehend einer entschiedenen verbalen Abrüstung. Denn wer so leichtfertig, wie derzeit zu beobachten, mit einem Begriff wie ZENSUR hantiert, der riskiert, dass der Blick auf tatsächliche, absichtsvolle Zensurbestrebungen, auf den Versuch also, Meinungen und Fakten systematisch und interessengeleitet der Öffentlichkeit vorzuenthalten, nicht scharf genug ist, wenn genau das passiert.

Schließlich, und das ist gewissermaßen eine Art Metakritik, wäre es angebracht, die Perspektiven der unmittelbar Betroffenen nicht auszuklammern. Nach meiner Beobachtung aber ist genau das im vorliegenden Fall auf breiter Front geschehen. Wir sprechen hier über eine europäische Urheberrechtsrichtlinie, und nicht etwa über einen Presseleistungsschutzrecht+Uploadfilter-Erlass. Hand aufs Herz: In wie vielen Artikeln der letzten, aufgeheizten Wochen, ist Ihnen ein „Urheber“ begegnet? Gar zu Wort gekommen? In so gut wie keinem. Weil das alles angeblich viel zu kompliziert ist, um es in einer Öffentlichkeit zu verhandeln (wobei nach meinem Verständnis genau hier, in der Reduktion von Komplexität ohne dabei populistisch zu werden, die von den Presseverlagen behauptete unverzichtbare Aufgabe der Presse läge …) – und weil die Eigeninteressen der Redaktionen, die immer weiter die Mauern zwischen Meldung und Meinung einreißen, viel zu selbstreferenziell sind, um auf das Gewusel am Boden (da, wo es fruchtbar ist) der Kultur- und Medienwirtschaft zu achten. Letztlich haben sich über Wochen und Monate die Redaktionen mit ihren Verlagen auseinandergesetzt (was immerhin ein Beleg für die Redaktionsfreiheit ist) und dabei die Presseveröffentlichungen in Geiselhaft genommen.

Diskursiv passiert zudem etwas Bezeichnendes für den Umgang mit Kultur in Deutschland. Die hat, in der öffentlichen Meinung, immer mehr auch in der Politik und dort zumal im rotgrünen Milieu, stets einen KW-Vermerk. „Kann wegfallen“ aka „muss man sich halt leisten können.“ Dabei war wohl nie in der Geschichte dieser Republik eine lebendige, lust- und kraftvolle, komplizierte, identitätsstiftende Kulturarbeit wichtiger, um manipulativen und populistischen Gleichschaltungsbestrebungen etwas entgegenzusetzen (#meinungsfreiheit). In diesem Klima ist es nach wie vor verpönt, Kultur (rein) in einen Zusammenhang mit Geld (unrein) zu bringen, oder gar mit verbindlichen Rechtsansprüchen wie Lizenzierung und Vergütung …

Der teilweise vergiftete Diskurs findet nicht in luftleeren (oder rechtsfreien) Räumen statt. Es gibt Gesetze, die die Möglichkeit von Kunst und Kultur gewährleisten, solche, die den Zugang sicherstellen und dann die, die sich mit Fragen von Vergütung und Erlaubnisvorbehalten befassen. Schließlich gibt es Regeln auf supranationaler Ebene, wie die EU-Grundrechtecharta oder, nicht zuletzt, die völkerrechtlich verbindliche UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt, die sowohl die EU als auch sämtliche ihrer Mitgliedsländer gezeichnet haben. Letztere übrigens definiert den sog. „Doppelcharakter kultureller Güter“ als eine prinzipielle Eigenschaft; diese seien immer zugleich Güter eines Markts und der Kultur an sich: Vergütung und kulturelles Schaffen bedingen sich gegenseitig.

Verfassungsrechtlich ist das sogar noch konkreter zu fassen. So warnt der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio in seiner verfassungsrechtlichen Studie „Urheberrecht und Kunstfreiheit unter digitalen Verwertungsbedingungen“ (München, C.H.Beck 2018) davor, „Ansprüche und Rechte von Urhebern […] als Ausdruck ‚veralteten‘ Denkens“ (di Fabio S.23) zu begreifen. Es sei seit jeher Aufgabe des Urheberrechts, „einen fortwährenden Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Grundrechtspositionen von Urhebern, Vermittlern, Dienstleistungsanbietern und Nutzern“ (ebd.) zu leisten. „Fester Ausgangspunkt – und nicht etwa beliebiger Abwägungsbelang – bleibt dabei das Herrschafts- und Bestimmungsrecht des Urhebers über sein Werk“ (ebd.), dessen Recht im Übrigen keineswegs nur materiell, also in einem Eigentumsrecht begründet sei, sondern ebenso in dem ihm untrennbar anhaftenden Urheberpersönlichkeitsrecht.

Die „technologie- und renditegetriebene Entwicklung“, so di Fabio, führt „immer mehr zu einer Entrechtlichung der Werkverwertung im Internet und gefährdet verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte, Strukturen und Institutionen. […] Der Urheber wird – wenn er nicht Hebel der Rechtedurchsetzung in die Hand bekommt – zu einem in seinem wirtschaftlichen Erfolg ungewissen Destinär, und zwar hinsichtlich der Früchte seines, mit seiner Person verbundenen, indes von anderen mit Wertschöpfung zu ihren Gunsten in Umlauf gebrachten Werks.“ (di Fabio S.24f.) Diese Form der Abhängigkeit aber gefährde ganz konkret die Kunstfreiheit des Urhebers. Nicht grundlos sei im Urheberrecht eine Lizenzierungs- und Vergütungspflicht vorgesehen. Vergütungspflicht und Kunstfreiheit seien untrennbar, so der Verfassungsrechtler di Fabio.

#Bäm.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Wertschöpfung in der Musik, sprich: auf die Mechanismen und Strukturen der Vergütung, denn besonders hinsichtlich YouTube hat die Musikbranche sicher den größten Leidensdruck.

Als Komponist lebe ich im und vom Urheberrecht, und das zu 100 Prozent. Sämtliche Erlöse, die ich mit meinen Werken und deren Aufnahmen erzielen kann, basieren auf Rechtsansprüchen, einen Anspruch auf Arbeitsvergütung – so wie Dienstleister – haben Musikautoren nicht. So gut wie jeder Songwriter arbeitet auf eigenes Risiko: werden seine Werke in relevantem Umfang genutzt, steht ihm eine „angemessene“ Vergütung durch die Werknutzer zu. Um das Werk nutzen zu dürfen, bedarf es im Regelfall einer Nutzungsgenehmigung, d.h. einer (vergütungspflichtigen) Lizenz. Für manche Nutzungen bedarf es auch mehrerer Lizenzen, etwa in allen Fällen, in denen Musik mit Bildern synchronisiert wird. Die Kopplung der Musik mit Bildern ist laut Gesetzgeber eine Bearbeitung – und damit genehmigungspflichtig. Das sog. „Filmherstellungsrecht“ schützt nicht die materiellen Interessen des Rechteinhabers, sondern die Persönlichkeit des Werkschöpfers; es basiert auf dem Urheberpersönlichkeitsrecht, das als grundrechtlicher Anspruch eng verwandt ist mit dem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung.

Beim Upload eines Videos auf eine Plattform wie YouTube müssen zwingend mindestens folgende Rechte vorliegen:

  • Das Recht am Werk (Nutzungsrecht, ein oder mehrere Urheber; gibt es beim Urheber oder bei der GEMA),
  • das Recht an der Aufnahme (Nutzungsrecht, Aufnahmehersteller),
  • die Rechte der Interpreten (Nutzungsrecht, Leistungsschutzrecht), zudem
  • das Filmherstellungsrecht (Bearbeitungsrecht, vom Urheber oder der GEMA), welches benötigt wird, um die Musik in ein Video einzubauen.

Hier stellt sich nun die Frage, wer dafür zuständig, d.h. verantwortlich ist, diese Lizenzen zu erwerben. Derzeit sind dies die Uploader, die per AGB zusichern, im Besitz aller notwendigen Rechte zu sein. Man darf getrost davon ausgehen, dass die Mehrzahl aller AGB-Clicks ohne einen Blick auf deren Inhalt vorgenommen wird. Ob gelesen oder ungelesen, ob Vorliegen einer Lizenz oder nicht, tut im Übrigen ohnehin wenig zur Sache, denn in vielen Fällen sind die Inhaber der Nutzerkonten schlicht nicht bekannt oder nicht zu ermitteln (Wegwerf-Mail-Adressen), zumal bei YouTube keine Klarnamenpflicht für Uploader herrscht. YouTube selbst wiederum zieht sich auf die Position eines Infrastrukturanbieters zurück, der als Host Provider lediglich Serverplatz vermittelt und mit den Inhalten nicht zu tun hat. Dass das bislang möglich war, wenn auch wackelig, liegt an einer älteren Ausnahmeregelung der EU, einer Haftungsprivilegierung namens „Safe Harbour“, welche Host Provider solange von der Haftung für die Inhalte auf der Plattform befreit, wie sie keine Kenntnis von Rechtsverstößen haben. Gleichwohl wird gerade YouTube europaweit immer eindeutiger von Gerichten in die Verantwortung genommen – in genau der Richtung, die nun der Rechtsausschuss mit seinem RL-Entwurf einschlägt.

Die Einkünfte musikalischer Urheber stammen laut der Musikwirtschaftsstudie von 2015 zu knapp 60% von der GEMA: für die meisten professionellen Musikurheber (z.B. die Autoren der Songs von Helene Fischer), die eben nicht als Stars T-Shirts und Kaffeetassen verkaufen (Helene Fischer) oder als Musiker Tourneen spielen (der Gitarrist von Helene Fischer), ist das das einzige erzielbare Einkommen. YouTube aber hatte von 2009 bis 2017 keine Lizenz der GEMA und bestreitet bis heute die Verpflichtung eine haben zu müssen. Und das als mit Abstand größter, umfassendster und reichweitenstärkster Musikverwerter der Welt.

Es findet also Wertschöpfung statt, sogar in erheblichem Umfang, ohne dass diejenigen, mit deren Werken das Geld erwirtschaftet wird, an den Erlösen beteiligt werden. Ein Unding, und das zumal angesichts des unbegreiflichen Nutzungsumfangs, welcher Wettbewerbsnachteile für alle nach den Regeln spielenden Akteure im Markt bedeutet – und die komplette Ausblutung für Urheber und Interpreten, deren Primärmärkte aufgrund der freien Verfügbarkeit ihres Repertoires bedeutungslos werden … Die britische Musikbranche hat 2017 von YouTube insgesamt die Hälfte der Summe erhalten, die sie mit Vinyl (!) erlöst hat! Das sollte helfen, den Regulierungsgegenstand von Artikel 13 ein wenig zu dimensionieren, die als Value Gap bezeichnete strukturelle Wertschöpfungslücke.

 Nun wird es viele geben, die sagen: Moment mal, aber wir wissen doch, dass es in der Musikwirtschaft alles andere als fair zugeht („… man hört ja so einiges“, sagte mir neulich allen Ernstes ein Jurist).
Danke für Ihre Fürsorge. Ja, ich höre auch so einiges; manches davon stimmt, vieles ganz sicher nicht oder nicht so, aber: Darum geht es hier nicht. Was nicht reinkommt, kann auch nicht verteilt werden – noch nicht einmal unfair. Allein darum geht es: Um die längst überfällige Beendigung eines parasitären Geschäftsmodells.

Die Plattformbetreiber in der Plattformökonomie garantieren keine kulturelle oder Meinungsvielfalt; sie gewähren Zugang nur zu ihren Bedingungen, Gestaltung erst Recht, sie erheben Daten in unbegreiflichen Umfängen, ohne von sich aus Rechenschaft abzulegen, sie zahlen nur unter Druck und dann schlecht (und im Falle von YouTube nie ohne NDA), sie entrichten kaum Steuern, sie verändern das gesellschaftliche Klima, ohne sich staatlichen und gesellschaftlichen Regeln und Prozessen zu unterwerfen. Im Gegenteil: Die Einflussnahme der GAFA-Giganten auf demokratische Prozesse ist vielfach beschrieben; nie war der Lobbydruck auf die Politik höher als im Zeitalter der Plattformen. Eindrucksvoll lässt sich das nachvollziehen anhand der DSGVO, deren parlamentarischen Weg die Kinodoku DEMOCRACY begleitet hat.
Der Lobbyansturm in der aktuellen Situation ist ungleich größer …

Der digitale Feudalismus gerät außer Rand und Band. Alleine schon deshalb ist es im Allgemeinwohlinteresse, an so zentraler gesellschaftlicher Stelle regulierend einzugreifen und den Plattformen ihre Grenzen aufzuzeigen. So wie im Datenschutz, im Steuerrecht, in den Bereichen Fake News und Hate Speech geschehen und im Medienrecht in Vorbereitung.

Dass dabei Angst vor Kollateralschäden entsteht, ist nachvollziehbar. Immerhin geht es um Eingriffe in einen Lebensraum – und um die absehbare Schmälerung von Gewohnheitsrechten. Worum es aber, anders als vielfach behauptet, kaum geht, sind Eingriffe in die Grundrechte der User. Artikel 13.1 des Richtlinienentwurf nimmt dazu explizit Stellung, indem ein Ausgleich zwischen den Grundrechten der User und der Rechteinhaber gefordert wird – ganz so wie im Urheberrecht ohnehin vorgesehen.

Der in Artikel 13 vorgesehene urheberrechtliche Mechanismus lässt sich in etwa folgendermaßen zusammenfassen: Die Tätigkeit der Plattformen wird als „communication to the public“ (quasi eine „öffentliche Wiedergabe“) definiert. Die Betreiber haften damit für die vorgehaltenen Inhalte und sind lizenz- und vergütungspflichtig. Der vorgesehene Weg einer umfassenden und rechtssicheren Lizenzierung ist der Erwerb einer weitreichenden Pauschallizenz bei einer zuständigen, staatlich beaufsichtigten Verwertungsgesellschaft, so wie im Rundfunk üblich und erprobt. Sollte eine solche Pauschallizenz nicht vorliegen, muss der Provider durch „geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen“ den Schutz der Werke gewährleisten. Es gibt im Richtlinienentwurfstext keinen expliziten Hinweis auf eine Verbindlichkeit von Uploadfiltern; der Begriff taucht nicht auf. Gleichwohl ist die Installation automatisierter Systeme zur Werkerkennung ein plausibles Szenario zur Umsetzung einer unter bestimmten Bedingungen möglichen Prüfpflicht.

Genau hier setzt die Sorge vor der Installation umfassender und mächtiger, weil weitgehend autonomer Kontroll- und Überwachungsmechanismen ein. Besonders wird bemängelt, dass das Filtersystem

  • wenig bis gar nicht transparent sein könne (anhand welcher Datenbestände sollen Detektionen stattfinden?),
  • nicht in der Lage sein könnte, zuverlässig zwischen Original, Zitat und Parodie zu unterscheiden, (Overblocking),
  • Basis und Ausgangspunkt für weiterreichende Überwachungsmechanismen sein könne und so zum Grundstein eines …
  • Zensurapparats werden könnte, zumal es ja …
  • in die Hände von Privatunternehmen gelegt werde: Privatisierung der Rechtsdurchsetzung!

Beginnen wir mit der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung: Mit Verlaub, das ist Unsinn – oder eine Nebelbome. Amazon und eBay werden als Plattformanbieter immer wieder und immer deutlicher für das Agieren ihrer Händler in Haftung genommen; höchstinstanzliche Gerichte erlegen Plattformen Prüfpflichten auf …: der Betreiber muss seinen Laden sauber halten: das ist selbstverständlich. Der Staat greift dann ein, wenn der Betreiber seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Wäre es denn erstrebenswert, dass der Staat ein Filtersystem betreibt: auf einer privaten Plattform und mit Zugriff auf die private Kommunikation von Abermillionen von Menschen? Eine absurde Idee. Und das umso mehr, als es eine klare Nähe zwischen dem Zensurbegriff und staatlichen Eingriffen gibt.

In der Abwägung tangierter Rechte muss man genau hinsehen: Die Rechte der Urheber habe ich weiter oben umrissen. Zu den Rechten eines jeden Bürgers gehört neben dem Recht auf freie Meinungsäußerung etwa das Zitatrecht; weitere Rechte sind in den sogenannten Schrankregelungen kodifiziert. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Rechte tatsächlich im konkreten Szenario des Uploads von Inhalten auf YouTube berührt werden, denn eines sollte man sich klar machen: Die zur Diskussion stehenden Plattformen sind privatwirtschaftliche Unternehmen, üblicherweise mit Unternehmenssitz in anderen Ländern. Wer auch immer als User oder Uploader ihre Dienste in Anspruch nimmt, hat keinerlei Recht auf ihnen irgendetwas zu tun. Es gelten die „Community Standards“ des Anbieters, das Hausrecht, gewissermaßen. Viele User-Uploads sind zudem schlicht und ergreifend – heute schon und nach geltendem Recht – illegal. Hier braucht man nach einem Recht der Nutzer gar nicht weiter zu gucken: es gibt keines. Die Meinungsfreiheit wäre demnach erst dann tangiert, wenn ein Inhalt tatsächlich aufgrund einer Meinung bzw. eines nicht genehmen Inhalts gesperrt würde. Da aber genau das erstens nicht vorgesehen und zweitens sogar im RL-Text untersagt ist und zudem, drittens, ein staatliches Eingreifen zur Gewährleistung der grundrechtlichen Meinungsfreiheit anstoßen würde, ist das Beharren auf diesem Aspekt nicht sonderlich seriös.

Hier lohnt es sich, einen Blick auf die User-bezogenen Aspekte des Artikels 13 zu werfen. Der Regelungsvorschlag des Rechtsausschusses vom 20.Juni liegt seit Montag, 02.Juli in englischer Sprache im Volltext vor [http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=REPORT&mode=XML&reference=A8-2018-0245&language=EN]. Er weist bei schneller Durchsicht einige Veränderungen („Amendments“) zur vorherigen Entwurfsversion auf, die insbesondere auf den Schutz der User abzuzielen scheinen:

  • [-1] Die Plattform haftet für User Uploaded Content, sofern dieser nicht von einem kommerziellen Anbieter oder vom Rechteinhaber persönlich hochgeladen wurde.
  • [1] Nicht-rechtsverletzende Inhalte sollen explizit verfügbar bleiben. (=> Dadurch würde Overblocking gewissermaßen unzulässig.)
  • [1 & 1b] Die geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen (es sind keine Uploadfilter spezifiziert!), welche den Schutz der Werke gewährleisten sollen, müssen einen Ausgleich schaffen zwischen den Grundrechten der User und der Rechteinhaber. (=> lässt sich auch gegen Overblocking anbringen.)
  • [1b] Dabei soll keine grundsätzliche Überwachung („monitor“) übertragener oder gespeicherter Informationen implementiert werden. (=> kein Überwachungsapparat, sondern eine Prüfung auf lizenzrechtlichen Status Quo.)
  • [2] Die „content sharing service provider“ müssen effiziente und schnelle Beschwerde- und Entschädigungsmechanismen schaffen, um Missbrauch oder Beeinträchtigungen in der Umsetzung vorhandener Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts zu vermeiden. (=> klar Anti-Overblocking.)
  • [2] Im Beschwerdefall müssen unverzüglich klare und nachvollziehbare Begründungen für Sperrung vorgelegt werden. (=> Transparenzverpflichtung & Anti-Overblocking.)
  • [2] Im Zusammenhang der geforderten Maßnahmen dürfen keine Personen identifiziert und keine personenbezogenen Daten erhoben werden. (=> keine Überwachung.)
  • [3] Vorgesehen ist die Einrichtung von „Stakeholder Dialogen“ unter Teilnahme der Provider, der User und der Rechteinhaber … „to define best practices for the implementation of the measures referred to in paragraph 1 in a manner that is proportionate and efficient, taking into account, among others, the nature of the services, the availability of technologies and their effectiveness in light of technological developments.“ (=> Transparenz und Einbezug.)

Ganz ehrlich: Das klingt, alles in allem, nicht nach selbstlaufendem Überwachungsapparat, sondern nach vergleichsweise viel Transparenz und Vorsorge – inkl. Einbezug der User.

 

Was ich verblüffend finde: Es gibt doch offenbar eine große Deckungsgleichheit in der Anerkennung struktureller Missstände und im Bedürfnis daran etwas zu ändern. Eigentlich will jeder, dass Künstler an ihr Geld kommen. Zumindest sagt es jeder … Wenn es dann aber konkret wird, dann sind immer andere Aspekte wichtiger. Beispielsweise die abstrakte Befürchtung, ein Prüfmechanismus könnte missbraucht werden, um noch anderes zu prüfen.

Nur: Auf gerade den Plattformen, um die er hier ausweislich der RL ausschließlich geht, GIBT es diese Strukturen längst, und das absolut verbindlich, denn die Plattformen sind schon heute verpflichtet, das Wiederauftauchen eines schon einmal lizenzrechtlich gesperrten Inhalts zu vermeiden. Juristisch: Würde YouTube kerngleiche Rechtsverletzungen nicht durch ContentID detektieren und verhindern, würde die Plattform vom „Störer“ zum „Gehilfen“ – und in die volle Haftung geraten. Bislang agieren die Filter im Verborgenen, mehr oder weniger ohne Möglichkeit, sich gegen sie zu wehren. Mit der RL aber gäbe es erstmals einen Rechtsanspruch GEGEN Fehlentscheidungen. Das wäre doch komplett im Sinne aller User und Uploader, solange sie legal agieren, versteht sich. Damit könnte man auch den mutmaßlich fehlerhaft gesperrten „Pink Stinks“ zu ihrem Recht verhelfen, und das sogar „effizient und schnell“. Anders gesagt: Bislang hat niemand von uns irgendein Recht, irgendetwas zu tun auf den Plattformen. Mit der RL hätten wir ein Recht, etwas zu fordern. Wir alle. Erstmals.

So betrachtet, scheint mir der argumentative Bezug zur Meinungsfreiheit und zur Sorge vor „Zensur“ (geht’s nicht ne Nummer kleiner?) im konkreten Zusammenhang geradezu bizarr. Wie gesagt: Wir sprechen hier ja nun mal nicht von der ZDF Mediathek oder einer NRW-Bürgermedienplattform. Sollten dort systematisch Meinungen unterdrückt, Fakten verschwiegen werden, wäre das Zensur. Auf YouTube gilt halt Hausrecht – zumindest, solange wir die Richtlinie nicht durchkriegen.

Sollte die Richtlinie durchkommen, dann wird sie sicherlich abgeschliffen sein und an vielen wesentlichen Stellen unscharf. Das ist das Ergebnis des massiven Lobbyandrangs und vieler Kompromisse; das wissen wir nicht erst, aber besonders seit der DSGVO, die wirklich toll hätte werden können … eigentlich. Auf die daraus sich ergebende (vorübergehende) Rechtsunsicherheit für alle Akteure wird vielfach hingewiesen. Wie sollte ich dem widersprechen; das Problem ist offensichtlich. Aber es ist schlicht und sehr ergreifend der Zustand unserer Demokratie, der hier seinen Ausdruck findet. Damit müssen wir umgehen. Es ist ja beileibe nichts Neues, dass auf Eingriffe in die erprobten Mechanismen des Netzes zunächst Verunsicherung folgt, dann eine unbeliebte Phase des Richterrechts – und schließlich Rechtssicherheit.

Schlussendlich geht es um eine Güterabwägung. Um die Betrachtung verschiedener Rechtsgüter, um die mehr oder minder berechtigten Interessen von Mehr- oder Minderheiten, um digitale Kulturtechniken, um einen öffentlichen Raum, der bislang nicht nach öffentlichen Regeln funktioniert – und um die Beendigung eines unethischen, parasitären Geschäftsmodells, das so gar nicht zu der blumigen Vorstellung vom freien, gleichen Netz passen will, das hier verteidigt werden soll. Und, ja, es geht um Kunst- und Meinungsfreiheit, diese für unsere Identität so fundamentalen Güter.

Worum es nicht geht, was wir uns wirklich verbieten sollten in diesem Gebrüll, das so gerne eine Debatte wäre: um Zensur. Denn die findet statt, vor unserer Haustür, bei unseren Nachbarn. Der ORF beispielsweise – immerhin eine deutschsprachige öffentlich-rechtliche Plattform – soll dieser Tage gleichgeschaltet werden. Von oben und als ganz offensichtlicher Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit: Dem müsste unser Aufschrei gelten! Ein lauter und gemeinsamer, wohlgemerkt.

Apropos Gemeinsamkeit: Sollten wir uns im Zuge der Güterabwägung darauf verständigen, dass wir die existenziellen Sorgen der Urheber und Interpreten anerkennen, müssten wir deswegen, wie gezeigt, die Ansprüche der User keineswegs aufgeben. Sie bekämen ja erstmals solche zugestanden.

Gemeinsam könnten wir auf dieser Basis überlegen, wie wir es hinbekommen, das Internet zu einem faireren Ort zu machen und zugleich die Filtertechnologien so weiterzuentwickeln und zu optimieren, dass sie unseren Ansprüchen genügen. War das nicht eigentlich das Versprechen des Netzes als eines sozialen Orts: Dass alle zu ihrem Recht kommen – und uns die Technik dabei hilft?!

Was hingegen – schon aus Gründen der Logik – nicht infrage kommt, ist, dass wir als Gesellschaft Technologien, die längst und verbreitet im Einsatz sind, diskursiv dafür missbrauchen, die missliebigen, aber immerhin grundrechtsbasierten Ansprüche einer lästigen Gruppe von Verfechtern des Geistigen Eigentums zu delegitimieren und abzuschmettern. Wer so argumentiert und agiert, sollte sich besser nicht auf die Idee von Freiheit berufen: Man könnte es ihm als den Ruf nach Vergütungsfreiheit auslegen. Als Gewohnheitsrecht.