Am 21.11.2022 fand in der Berliner Akademie der Künste die 10. Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht als Hybridveranstaltung statt. Ich habe sie in meiner Funktion als Sprecher der Kreativen in der IU gemeinsam mit der Geschäftsführerin der IU konzipiert, kuratiert und moderiert.
Uff. Ein Jahr ohne einen einzigen Eintrag auf der Website; das hat es bei mir seit rund 20 Jahren nicht gegeben. Der Grund ist nicht, dass es nichts zu berichten gegeben hätte, ganz im Gegenteil. Das Jahr 2021 war so unfassbar voll von Arbeit, dass ich fast besinnungslos hindurchgerast bin. Am letzten Tag des Jahres muss ich rückblickend sagen: kein Wunder, dass irgendwas auf der Strecke blieb.
Was alles geschehen ist: Musik schreiben und produzieren, unter anderem erstmals fürs Großstadtrevier und erstmals einen Song für jemand anderen. In den kommenden Monaten stehen einige Veröffentlichungen an, auf Tonträger, im TV und im Radio.
Unterrichten, unter digitalen Bedingungen, an verschiedenen Hochschulen bundesweit. Nach wie vor ein Arbeitsfeld, das für mich außerordentlich befriedigend und zugleich wenig lukrativ ist.
Politik: Allein die Begleitung der Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in nationales Recht, welche fristgerecht zum 7.6.2021 erfolgte, hat mich Monate gekostet. Ich habe mit Ministerien, mit parlamentarischen Ausschüssen, mit Abgeordneten und ihren Büros, mit Verbänden und Unternehmen, in und mit Verwertungsgesellschaften gerungen. Natürlich in den seltensten Fällen alleine; so etwas ist Teamarbeit. Neben dem GEMA-Aufsichtsrat ist das wichtigste Team, mit dem ich mich fürs Urheberrecht einsetze, zweifellos die Initiative Urheberrecht, die ich seit Sommer dieses Jahres als „Sprecher der Kreativen“ vertrete. Zur Politik gehört neben dem Urheberrecht, aber keinesfalls davon zu lösen, die existenzielle Situation, in die die Soloselbständigen und Freiberufler:innen spätestens mit Beginn der Corona-Pandemie geraten sind. An vielen Stellen und mit vielen großartigen Verbündeten habe ich versucht, Verbesserungen anzuschieben. Der vielleicht wichtigste und profundeste Ausfluss dieser Bemühungen ist das Arbeitspapier der AG „Kulturakteur:innen zwischen Förderung, Markt und Sozialpolitik“, die ich für den Kulturrat NRW geleitet habe.
2021 erschien der Sammelband #nichtgesellschaftsfähig von Sandra Strauß und Tommy Schwarwel, den ich im Hintergrund ein wenig unterstützt habe. Im nächsten Band werde ich mit einem Eassay vertreten sein, das zu schreiben mir sehr wichtig war: Ich berichte von der Leukämieerkrankung meiner Frau, von unserem gemeinsamen Kampf, ihrem Tod – und meinem Umgang damit. Mein Blick auf die Welt hat sich geschärft durch meine Erfahrungen; ich kann nicht nur Gutes berichten, doch das Gute überwiegt so klar und eindeutig, dass ich immer wieder feststelle, wie viel Kraft mir das schlichte Wissen um die Großartigkeit der Menschen in meinem Umfeld gibt.
Schreiben (und reden) hilft. Sei es Musik oder Texte – und auch von letzteren hat es manche gegeben im vergangenen Jahr, zum Beispiel ein Essay für das brandneue IU Mag der Initiative Urheberrecht. Vielleicht reiche ich die vollständige Liste demnächst noch nach; für die VG Wort muss ich sie ja eh zusammensuchen.
Dann war da ja noch diese Pandemie. Und die tiefe Verunsicherung, die große Teile der Kommunikation darüber und über den politischen, medizinischen und medialen Umgang damit prägt. Eine enorme Herausforderung für die Gesamtgesellschaft, möglicherweise auch für den Staat und unsere Staatsform. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, mich hinterfragt, mir vorwerfen lassen, ein Systemling zu sein und vieles mehr. Aber, wie gesagt, ich stehe unglaublich auf Menschen. Ich habe einfach keine Anlage zum Zynismus und offenbar auch nicht zu dystopischem Wahn. Also werde ich einfach auch weiter versuchen, Ausgleich zu schaffen, Kommunikation aufrecht zu erhalten, Gedanken zu teilen und dabei möglichst orientierend zu agieren. Nicht, weil ich irgendeine Expertise in Wirrologie hätte, sondern weil ich fest daran glaube, dass wir nicht nicht miteinander kommunizieren können – und es insofern vielleicht einfach anständig tun sollten.
Das hier ist kein umfassender Bericht. Der Text war nicht einmal geplant, sondern floß spontan aus mir heraus. Vieles fehlt. Auch Wichtiges. Aber nicht alles davon gehört hier hin und manches ist im Hintergrund auch viel besser aufgehoben.
Soweit für den Moment, also. Ich werde für den Rest des Tages wieder und weiter Musik machen. Was für ein Geschenk, einen Beruf zu haben, der einen dermaßen auszufüllen vermag. Der einem erlaubt, seine Gefühle und auch seine Sorgen aufzuräumen. Und der es ermöglicht, all das mit Anderen zu teilen.
Mehrfach habe ich heute bereits den Satz gelesen „Wir schaffen das!“ Das ist meine feste Überzeugung. Ich wünsche Euch allen ein frohes, gesundes, möglichst sorgenfreies Jahr 2022. Passt auf Euch und die andern auf. Bis bald.
Hier auf meiner Seite hat ab Mitte 2018 ein wesentlicher Teil meines Einsatzes für die EU-Urheberrechtsrichtlinie stattgefunden. Konkret haben diejenigen längeren Texte von mir hier eine Heimat gefunden, die gedacht, formuliert und veröffentlicht werden mussten, ohne dass es in dem Moment einen konkreten Abnehmer gegeben hätte. Darunter ein längeres Essay mit dem Titel DIGITALER FEUDALSIMUS, an dem der MDR seinerzeit übrigens besonders die „Farbverläufe“ (es sind keine) der „Bebilderung“ erwähnenswert fand. Was viel darüber erzählt, auf welch unsäglichem Niveau große Teile der Debatte zu verorten sind.
Ein Blick in die Autorenliste lässt mich bezweifeln, dass sich alle Autoren gleichermaßen darüber freuen, miteinander in diesem Band versammelt zu sein. Ich jedenfalls freue mich, denn dieser Text bedeutet mir viel.
Es ist ein bisschen, als wolle jemand, der kaum das Einmaleins beherrscht, die Welt über Integralrechnung belehren, wenn Martina Michels, MdEP / Die Linke, sich über die Gründe äußert, die ihrer Ansicht nach gegen die EU-Urheberrechts-Richtlinie sprechen.
Auf Offene Briefe gibt es keine Antwort, dafür aber mit großer Wahrscheinlichkeit ein nächstes Interview, in dem sie exakt das sagt, was sie auch vorher schon sagte.
Weil aber in den Äußerungen von Frau Michels ein so fundamentales Unverständnis zentraler Rechts- und Marktprinzipien in Kultur und Medien zum Ausdruck kommt, dass sich daraus notwendigerweise folgenreiche Fehleinschätzungen des Wirk-Potenzials der Richtlinie ergeben, gibt es nun schon wieder … einen Offenen Brief.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es liegt mir fern, Politiker irgendeiner Art von Pauschalverdächtigung auszusetzen. Ich meine, stellen wir uns mal vor, wir müssten heute über Glyphosat, morgen über Atommüll-Endlagerung und an den darauf folgenden Tagen über Plattformhaftung sprechen, und letzteres dann auch noch aus
urheberrechtlicher,
medienrechtlicher,
datenschutzrechtlicher und
kartellrechtlicher
Perspektive, dann liegt auf der Hand, dass niemand da über alles im Detail Bescheid wissen kann. Das ist letztlich auch nicht deren Aufgabe, sondern die von Experten wie zum Beispiel Fachjuristen.
Es ist aber meines Erachtens eine Frage des Anstands, dieses Nicht- oder Nurhalb-Wissen dann auch einzugestehen und damit verantwortungsvoll umzugehen.
[EDIT: Es gibt mittlerweile so etwas wie ein klitzekleines Eingeständnis einer klitzekleinen Unschärfe, die aber nicht etwa Folge einer Fehlenschätzung war, sondern nur dem fehlenden Platz in einem Interview geschuldet.]
Warum die Copyright-Richtlinie keine Zensur einführt, die Meinungsfreiheit nicht zerstört und auch sonst mit dem Grundgesetz im Einklang ist.
Der Professor für Öffentliches Recht und Schriftsteller Thomas Elbel über die verfassungsrechtlichen Implikationen des heiß umkämpften Artikels 13 im Gesamtkontext der EU-Urheberrechtsrichtlinie.
Der Vorwurf
der ZENSUR
Überall heißt
es, die Copyright-Richtlinie führe zu Zensurmaschinen. Jetzt steht
natürlich jedem sein eigener Zensurbegriff frei, aber die
Bezeichnung macht nach meinem Verständnis nur dann Sinn, wenn sie zu
Recht auf den verfassungsrechtlichen Zensurbegriff des Art. 5 Abs. 1
S. 3 des Grundgesetzes gründet. Schon Internet-Doyen Sascha Lobo hat
in einer Kolumne auf SPON vom 2.1.19 („Blocken in sozialen Medien
ist Freiheit, keine Zensur“) darauf hingewiesen, dass eine
Überdehnung des Zensurbegriffes unsinnig ist. Er wird dadurch am
Ende zu einer sinnfreien Leerformel, der keine Bezeichnungsmacht mehr
zukommt. Die Uploadfilter, von denen in der Debatte um die
Copyright-Richtlinie die Rede ist, sind aber aus zwei Gründen
niemals Zensur.
Ich will jetzt gar nicht davon anfangen, dass der umstrittene Art. 13 der Copyright-Richtlinie Filter gar nicht zwingend vorschreibt. Der Hase liegt nämlich woanders im Pfeffer. Das vergleichsweise schwächere Argument wäre zunächst einmal, dass wenn ein solcher Filter z.B. von YouTube (soll jetzt mal stellvertretend für die betroffenen Plattformen stehen) eingerichtet würde, dieser ja ein privates Instrument wäre.
Der verfassungsrechtliche Zensurbegriff erfasst aber nur staatliche Eingriffe in den Meinungsmarkt.
Wäre auch ein privater Eingriff Zensur, wäre ja jede Ausübung der Richtlinienkompetenz eines Zeitungsverlegers ein Fall von Zensur.
Man könnte
natürlich insoweit gegenargumentieren, dass die Filter hier indirekt
vom Staat vorgegeben wären, jedenfalls wenn man in der Richtlinie
eine entsprechende Verpflichtung mittelbar erkennen will, aber selbst
dann fehlt für Zensur noch ein weiterer wichtiger Aspekt, nämlich
die Gezieltheit des Eingriffs. Zensur im Sinne des Grundgesetzes ist
nämlich nicht jeder beliebige staatliche Eingriff in den
Meinungsaustausch, sondern nur ein solcher, der gezielt in einen
bestimmten Teil des Meinungsspektrums eingreift, z.B. ein Verbot
aller Gegenäußerungen zur Copyright-Richtlinie. Ein
unterschiedsloser Eingriff in alle Meinungen aber, egal ob nun links,
rechts, liberal oder was auch immer, ist keine Zensur. Diese
Interpretation des Zensurbegriffes ergibt sich aus der Zusammenschau
des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG mit Abs. 2 derselben Vorschrift, wo es
heißt, dass die Rechte aus Abs. 1 unter der Schranke der
„allgemeinen Gesetze“ stehen. Der Staat darf also durchaus in die
Meinungsfreiheit eingreifen, so lange der Eingriff lediglich
„allgemein“ oder im Sinne meiner vorangegangenen Begriffsbildung
„ungezielt“ ist.
Diese Auslegung
des Zensurbegriffs ergibt sich z.B. aus folgendem Zitat aus einem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
„Unzutreffend
ist die Annahme des Beschwerdeführers, das Verbot der Verbreitung
komme einer Vorzensur gleich. Art. 5 GG, der das Zensurverbot aus
Absatz 1 Satz 3 neben die Schrankenbestimmung des Absatzes 2 stellt,
verdeutlicht schon durch dieses Nebeneinander, dass das Zensurverbot
nicht betroffen ist, wenn zur Durchsetzung eines in einem allgemeinen
Gesetz geschützten Rechtsguts die dort vorgesehenen
Rechtsschutzmöglichkeiten genutzt werden. Eine auf die Unterlassung
einer konkreten Persönlichkeitsverletzung zielende gerichtliche
Entscheidung steht der behördlichen Vorprüfung oder Genehmigung des
Inhalts einer Veröffentlichung nicht gleich (zum Zensurverbot vgl.
BVerfGE 33, 52 <71 ff.>).“; aus:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/05/rk20060502_1bvr050701.html
Uploadfilter können also in diesem Sinne auch deswegen keine Zensur sein, da sie unterschiedslos das gesamte Meinungsspektrum betreffen.
Trotzdem findet
sich das besagte Mem von den Uploadfiltern als Zensurmaschinen in
gefühlt jedem zweiten kritischen Beitrag zur Copyright-Richtlinie,
so z.B. auch in einem Beitrag vom 28.2.19 auf dem Blog des von
urheberrechtskritischen Stimmen seit Jahren immer wieder gern
zitierten Münchner Anwalts Thomas Stadler. Der sehr stimmgewaltige
Herr Stadler wird einem ob seiner vielfachen Äußerungen zu allen
möglichen Themen des Medienrechts darum auch immer wieder gerne als
Experte präsentiert. Leider scheint der Gedanke weniger populär,
dass derartige Anwaltsblogs ja in erster Linie auch Werbeplattformen
sind, die sich inhaltlich primär an die jeweilige Mandantschaft
richten. Schaut man sich die Tätigkeitsschwerpunkte von Herrn
Stadler auf dessen Anwaltswebsite an, so fällt auf, dass er
vornehmlich um Mandantschaft wirbt, die aus medienrechtlichen
Vorschriften in Haftung genommen wird. Es ist nicht weiter
verwunderlich, wenn er in seinen öffentlichen Äußerungen diesem
Klientel sympathische Positionen einnimmt. Da müsste man doch
derartige Äußerungen eigentlich mit einem Körnchen Salz nehmen.
Aber in der öffentlichen Debatte wirkt es mitunter, als ob Herr
Stadler, oder sein auch sehr gern zitierter Kollege Solmecke in ihren
Blogs quasi neutrale und wissenschaftlich fundierte Fachartikel zum
Besten geben.
Der Vorwurf der EINSCHRÄNKUNG DER MEINUNGSFREIHEIT
Aber das ist
nicht der einzige Behauptungsfehler der Richtliniengegner. Ein
weiteres Beispiel: Eine der Kernaussagen der Gegnerschaft von Art. 13
ist ja sinngemäß: Uploadfilter führen zu einer unverhältnismäßigen
Einschränkung der Meinungsfreiheit, weil sie eine immense Anzahl so
genannter „False Positives“ produzieren werden. Denn eine KI kann
z.B. nicht erkennen, dass statt einer Urheberrechtsverletzung nur
eine gesetzlich erlaubte Parodie oder ein Zitat vorliegt (letzteres
hat mich übrigens nie überzeugt; warum sollte eine KI nicht den
Unterschied zwischen Original und Teilmenge des Originals erkennen,
aber wie auch immer).
Was mich an
dieser Behauptung stört ist, dass sie aus einer Kette von Axiomen,
also beleglosen Tatsachenbehauptungen („KI kann nicht erkennen,
dass …“) und ebenso beleglosen oder letztlich sinnfreien, weil
referenzlosen Bewertungen („immense Anzahl von False Positives“)
zusammengesetzt ist.
Ich möchte etwas
näher ausführen, wie ich das meine. Dazu möchte ich so tun, als
sei Art. 13 bereits erlassen und findige Gegner versuchten nun, der
Vorschrift auf dem Rechtsweg den Garaus zu machen, denn das ist ja
auch kein völlig unrealistisches Szenario. Ich hoffe, die geneigten
Leserinnen und Leser interpretieren es nicht allzu sehr als
berufliche Eitelkeit, wenn ich behaupte, dass eine derartige
juristische Betrachtungsweise hilft, der obigen Behauptung den Nebel
auszutreiben. Dazu beginne ich mit einem Beispielssachverhalt:
Der deutsche
Staatsbürger Ulrich Uploader (U) lädt die berühmte Würgeszene mit
Darth Vader und Moff Tarkin aus Star Wars IV auf YouTube hoch. Der
Szene ist eine für eine halbe Sekunde sichtbare Tafel mit dem Text
„Groko-Kabinett-Besprechung“ vorgeschaltet. U will das als Kritik
an der momentanen Regierung und ihrer Liebe zu „imperialer Politik“
verstanden wissen.
Unterstellen wir
für Zwecke des Falles mal, dass der Filmrechteinhaber der
betreffenden Szene ein europäisches Unternehmen wäre. Dieses
Unternehmen hat YouTube keine Lizenz zum Zeigen des Films oder von
Ausschnitten davon gegeben. Selbstverständlich sind alle bekannten
Schranken des deutschen Urheberrechts (Zitat, Parodie etc.)
anwendbar. YouTube hat sich entschieden, das Problem des Hochladens
nichtlizenzierter Filme – wie jeher – durch sein Filtersystem
ContentID zu lösen, das seit Einführung des Art. 13 flächendeckend
eingesetzt wird.
ContentID
identifiziert das von U hochgeladene Video trotz der vorgeschalteten
Texttafel als schlichten Filmausschnitt und löscht ihn daher noch
vor Abschluss des Hochladevorgangs.
U beschwert sich bei YouTube über das von der Richtlinie vorgesehene Beschwerdeverfahren (Art. 13 Abs. 8 des aktuellen Entwurfes). Würde YouTube dem nun stattgeben und den Content hochladen, wäre der Fall hier bereits zu Ende, da U ja bekommen hätte, was er will. Gehen wir also davon aus, dass YouTube – im Rahmen der Nachkontrolle, die nunmehr logischerweise von einem echten Menschen durchgeführt wird – nicht abhilft, weil man dort der Meinung ist, die Szene stelle allein aufgrund der vorgeschalteten Tafel keine Parodie im Sinne der auf U anwendbaren deutschen Schrankenbestimmungen und ihrer europäischen Ausgangsnormen dar.
Was kann U jetzt noch machen? Richtig. Klagen
Erster Teil: Rechtsstreit U vs. YouTube – 1. Instanz
Es stellt sich die Frage: Wo würde U eigentlich klagen? Da es sich hier im Kern um einen Rechtsstreit über die Reichweite einer deutschen Urheberrechtsschrankenbestimmung – also Zivilrecht – handelt, und beide Parteien, YouTube und U sich auf Augenhöhe begegnen, mithin der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist, geht der Rechtsstreit zur ordentlichen Gerichtsbarkeit. Meinen eigenen Recherchen zufolge ist in so einem Fall eine Überschreitung der Streitwertgrenzen für einen Rechtsstreit beim Landgericht durchaus denkbar. Gehen wir also mal davon aus, die 1. Instanz findet vor der Zivilkammer eines deutschen Landgerichts statt. Gewinnt U, ist der Rechtsstreit wiederum zu Ende, da er bekommen hat, was er will. YouTube müsste den Clip dann hochladen. Also gehen wir davon aus, dass das Landgericht YouTubes Argumentation aus dem Beschwerdeverfahren folgt und den Clip als von den deutschen Schrankenbestimmung nicht erfasst ansieht.
Zweiter Teil: Berufung
Genauso geht es dann vor dem Oberlandesgericht weiter.
Dritter Teil: Revision
Und schließlich
– wenn die Revision zugelassen wird (was ich angesichts der
Tatsache, dass Streits um die Reichweite urheberrechtlicher
Schrankenbestimmungen heutzutage wohl kaum grundsätzliche Bedeutung
haben dürften, allerdings für eher unwahrscheinlich halte) – auch
vor dem BGH, der sich dann, damit es mit unserer Betrachtung
weitergehen kann, ebenfalls YouTubes Sicht anschließt, es handele
sich nicht um eine Parodie.
Sodele.
Und jetzt käme
(jedenfalls in Abwesenheit einer auch von den Untergerichten
initiierbaren so genannten konkreten Normenkontrolle i.S.v. Art. 100
GG) überhaupt erst und auch nur eventuell das BVerfG ins Spiel.
Nämlich dann, wenn der U – seinen Misserfolg bis hierhin
unterstellt – Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BGH
erhebt.
Nun muss man
allerdings wissen, dass das BVerfG – anders als z.B. der US Supreme
Court – keine „Superrevisionsinstanz“ ist. D.h. es würde sicher
nicht nur deshalb tätig, weil z.B. der BGH bei der Auslegung der
urheberrechtlichen Schrankenbestimmung etwas zu engstirnig war.
Ich halte es
daher für wahrscheinlich, dass das BVerfG eine derartige Beschwerde
gar nicht erst zur Entscheidung annehmen würde.
Aber unterstellen wir aber mal „for the sake of the argument“, das BVerfG würde den Rechtsstreit zur Überprüfung annehmen. Dann wäre Prozessstoff aber wiederum nur die Frage der Weite der urheberrechtlichen Schrankenbestimmung zur Parodie und ob YouTube in diesem Sinne zur Löschung berechtigt war oder nicht.
Die Richtlinie würde in diesem Rechtsstreit also gar keine direkte Rolle spielen. Sie könnte daher m.E. auch nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung sein.
Und selbst wenn
sie das wäre und U sich irgendwie – ich weiß nicht wie, aber
unterstellen wir einfach, es ginge – darauf beriefe, dass der
Einsatz der Filter durch YouTube in seinem Fall sein Grundrecht auf
Meinungsfreiheit verletzt. Was wäre denn dann?
Nun dann würde
zuerst mal die Frage im Raum stehen, ob die Meinungsfreiheit im
Verhältnis zwischen U und YouTube überhaupt Anwendung findet, denn
die Grundrechte unserer Verfassung binden laut Art. 1 Abs. 3
Grundgesetz primär nur den deutschen Staat und nicht irgendwelche
amerikanischen Unternehmen.
Etwas anderes
könnte höchstens gelten, wenn wir der Lehre des BVerfG von der
Einstrahlungswirkung der Grundrechte in privatrechtliche
Rechtsverhältnisse folgen und die Frage stellen, welche Auswirkung
die Meinungsfreiheit auf die Entscheidung YouTubes hätte,
Uploadfilter zum Einsatz zu bringen. Und damit wir jetzt irgendwie –
ich weiß nicht genau wie – zur Frage der Verfassungsmäßigkeit
der Richtlinie kommen, um die es den Art.-13-Gegnern ja eigentlich
geht, nehme ich an, müsste YouTube nun die recht gewagte
Argumentation aufmachen, dass die Richtlinie YouTube zur Anwendung
von Uploadfiltern quasi zwingt.
Darauf würde ich als Verfassungsrichter fragen, wo denn in der besagten Richtlinie irgendetwas von Uploadfiltern steht. YouTube würde kurz rot anlaufen und dann irgendetwas von ökonomisch einzig handhabbarer Lösung faseln. Der Verfassungsrichter würde dem dann aber möglicherweise entgegenhalten, dass ein Unternehmen mit geschätzten 8 Milliarden Werbeeinnahmen im Jahre 2019 das Problem der Filterung doch eventuell auch mit einer Kombination aus künstlicher UND humanoider Intelligenz lösen könne. Der YouTube-Anwalt würde sich nun mächtig aufplustern und geltend machen, dass man da ja angesichts von 400h Uploads pro Minute ganze Armeen von Personal anstellen müsste. Die Richter würden wiederum einwenden, die Tatsache, dass stattdessen eine rein automatisierte Filterung angewandt werden solle, sei ökonomisch sicherlich nachvollziehbar, aber letztendlich eben doch eine autonome Entscheidung des Konzerns und könne nicht dem Gesetzgeber angelastet werden, was man ja auch daran sehe, dass ContentID auch schon vor Erlass der Richtlinie angewandt wurde. Gewinnschmälerungen, die wiederum durch eine grundrechtsfreundlichere Variante verursacht würden, müssten vom Konzern dann eben hingenommen werden. Außerdem, so würde ein besonders findiger Verfassungsrichter einwenden, sei es ja kein Naturgesetz, dass Youtube-Postings immer schon wenige Augenblicke nach dem Upload veröffentlicht sein müssten. Eine gewisse Wartezeit sei aus Sicht der User sicherlich auch vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit hinnehmbar. Wer einen papiernen Leserbrief an die Zeitung schreibe, müsse ja auch damit rechnen, dass dieser erst ein paar Tage später veröffentlicht werde. Manchmal sei eine gewisse Entschleunigung in einer Debatte ja vielleicht sogar qualitätsfördernd, würde der Richter mit süffisantem Lächeln hinzufügen.
Was es abzuwägen gilt
Warum dieser detaillierte Ausblick des Verlaufs der Klage eines Bürgers gegen eine von ihm behauptete False-Positive-Löschung? Um zu demonstrieren, dass der Streitstoff hier nicht die platte Frage „Uploadfilter, ja oder nein“ sein wird, sondern eher die Frage, ob YouTube den beiden Vorgaben der Richtlinie „best efforts“ gegenüber den Rechteinhabern und „Verhältnismäßigkeit“ gegenüber den Nutzern gerecht geworden ist. Dabei spielen YouTubes ökonomische Erwägungen m.E. nur eine untergeordnete Rolle, denn es kann von einem Unternehmen erwartet werden, dass es jeden erdenklichen Aufwand auf sich nimmt, wenn es darum geht zu gewährleisten, dass sein Geschäftsmodell die Rechte Dritter nicht verletzt.
Alte Bekannte: Von Störern und Tätern
An dieser Stelle
ist vielleicht ein kleiner Exkurs ganz passend: Haben Sie, liebe
Leser, im Zusammenhang mit der Urheberrechtsdebatte auch schon den
Begriff der Störerhaftung gehört und sich gefragt, was damit
gemeint ist? Vor zwei bis drei Jahren war damit im Zusammenhang mit
der Haftung von privaten Betreibern offener W-LANs viel die Rede.
Damals hieß es oft, den armen W-LAN-Betreibern solle etwas völlig
Exotisches übergeholfen werden. Ich als Jurist habe mir da nur die
Augen gerieben, denn die Störerhaftung ist im deutschen Zivilrecht
eigentlich der Default. Auf ihren abstrakten Kern zurückgeführt,
bedeutet Störerhaftung, dass ich Ihnen dafür hafte, wenn mein
Eigentum schädlich auf Ihr Eigentum einwirkt. Wenn also meine
Brieftaubenzucht dazu führt, dass ihre Hauszufahrt immer voller
Taubenkot ist, hafte ich ihnen auf Entfernung.
Störerhaftung
erfasst darüber hinaus aber auch noch den Fall, dass mein Eigentum
so konfiguriert ist, dass es Dritten die Möglichkeit gibt, schädlich
auf Ihr Eigentum einzuwirken. In diesem Fall hafte ich – etwas
vergröbert ausgedrückt – dann, wenn ich (a) davon weiß, (b) nicht
gegen die Dritten einschreite und wenn (c) eine direkte
Inanspruchnahme der Dritten durch Sie nicht erfolgversprechend ist.
Beispiel: Ich veranstalte in meiner Schreberlaube regelmäßig
Partys, bei denen meine Gäste den Müll auch in ihren angrenzenden
Garten entsorgen. Ihre Tulpenzucht leidet massiv. Auf entsprechenden
Hinweis von Ihnen gebe ich zu Protokoll, dass Partys nun mal zum
Leben dazu gehören. Außerdem bin ich aus Datenschutzgründen nicht
bereit, Ihnen die Namen meiner Gäste zu verraten. In solch einem
Fall hätten Sie gute Chancen, sich die Instandsetzungskosten bei mir
gerichtlich zu erklagen.
Zurück zu YouTube und den anderen
UGC-Plattformen: Im Sinne des Konstrukts der Störerhaftung müsste
YouTube eigentlich sowieso für die Rechtsverletzungen haften, die
die Nutzer vermittelst der Plattform an den Urheberrechten Dritter
verursachen. Dass dem heute nicht so ist, liegt daran, dass YouTube
durch das so genannte Providerprivileg des § 10 TMG von der
Störerhaftung ausgenommen ist. Das muss man sich für die Zwecke der
aktuellen Debatte mal deutlich vor Augen führen: Die Störerhaftung
ist der Default, das Providerprivileg die Ausnahme.
Wie kam es
eigentlich dazu? Weil in den 90er-Jahren eine gewisse gelb-blaue
Partei der ultimativen Freiheit mit an der Regierung war. Diese hat
damals das Argument geäußert, dass sich, wenn für die
Netzwirtschaft dasselbe Haftungsregime gälte wie für Otto
Normalverbraucher, das noch junge Internet nie mit Angeboten
bevölkern würde. Heute wissen wir, dass das Internet bis an die
Halskrause „bevölkert“ ist, aber Bitkom, Eco und wie sie alle
heißen, krallen sich – aus ökonomischer Perspektive völlig
verständlich – an ihrem Privileg fest. Die Copyright-Richtlinie ist
insoweit auch ein Versuch, den Normalzustand der Haftung wieder
herzustellen. Man könnte polemisch ausgedrückt konstatieren, dass
die Urheber auf Grundlage der derzeit noch geltende Privilegierung
die offensichtlich in eternam perpetuierte Startup-Phase der großen
Internetplattformen mitfinanzieren.
Aber zurück zu
den prozessualen Möglichkeiten, die Copyright-Richtlinie überprüfen
zu lassen:
Nun kann man sich fragen, wie man denn dann zu einer Direktüberprüfung der (in der Richtlinie eigentlich gar nicht statuierten) Uploadfilter-„Pflicht“ durch die Verfassungsbeschwerde eines Einzelnen kommen würde, wenn es auf dem bereits beschriebenen Weg nicht so richtig klappt? Die Antwort wäre: indem der WIRKLICHE Direktbetroffene gegen die Richtlinie klagt und das wäre im Ausgangsfall eben nicht U, sondern YouTube (oder eine andere betroffene Plattform).
Überprüfung der RL, Option a: Klage der Plattform
Jetzt könnte man
gleich die Frage stellen, wogegen YouTube denn klagen würde, weil es
in dem Ausgangsfall selbst ja gar nicht beschwert wäre und das
deutsche Recht kennt keine Popularklage, wo man quasi gegen anderer
Leute Elend zu Felde zieht. Eine Klage YouTube vs.
Copyright-Richtlinie wäre daher nur dann denkbar, wenn YouTube z.B.
gegen eine sanktionsbewehrte Pflichtnorm aus dem deutschen
Umsetzungsgesetz verstoßen würde.
Beispiel: YouTube
verweigert sich sowohl der Lizenzierung als auch irgendwelcher Form
der vorauseilenden oder nachträglichen Löschung nichtlizenzierter
Inhalte und wird daher mit einer Ordnungswidrigkeitenstrafe belegt.
Dann könnte
YouTube gegen den betreffenden Verwaltungsakt erst mal Beschwerde vor
den ordentlichen Gerichten (in diesem Fall Strafgerichtsbarkeit)
erheben und bei Nichterfolg dann damit vor das Verfassungsgericht
ziehen.
In diesem Fall
wäre es in der Tat denkbar, dass das Verfassungsgericht die
Pflichten von YouTube unter dem deutschen Umsetzungsgesetz zur
Richtlinie beleuchtet. Allerdings geht es dann auf YouTubes Seite
vorrangig gar nicht mehr um das Grundrecht auf Meinungsfreiheit,
sondern – wie auch auf Urheberseite – um die Grundrechte der
Berufsfreiheit und der Eigentumsfreiheit (bzw. noch genauer das
Grundrecht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb). Denn
YouTube versteht sich ja bekanntlich ausschließlich als „Plattform“.
D.h. YouTube möchte sich den Inhalt hochgeladener Clips auf gar
keinen Fall zu eigen machen und würde sich in dem beschriebenen Fall
daher sicherlich nie auf die Meinungsfreiheit berufen. Noch weniger
könnte YouTube eine Beschränkung der Meinungsfreiheit seiner Nutzer
geltend machen, denn das wäre wiederum ein Fall der oben
beschriebenen und in Deutschland nicht vorgesehenen Popularklage
(s.o.).
Auch auf diesem Wege kommt man also nicht zu dem Ziel einer Überprüfung von Art. 13 Abs. 4 der Copyright-Richtlinie („ensure the unavailability“) im Lichte des Grundrechts der Meinungsfreiheit.
Überprüfung der RL, Option b: Normenkontrollklage
Eine weitere
realistische Möglichkeit wäre eine so genannte abstrakte
Normenkontrollklage, die z.B. von der Opposition erhoben werden
könnte. Argumente für eine Verfassungswidrigkeit der Richtlinie
bzw. des deutschen Umsetzungsgesetzes müsste nach den schon auf das
römische Recht zurückgehenden Regeln des streitigen
Parteienprozesses in diesem Fall allerdings zuerst einmal der
Antragsteller und nicht die verteidigende Bundesregierung bringen.
Klingt trivial, ist aber bedeutsam. Man könnte salopp sagen: Das
deutsche Prozessrecht legt Rollen fest. Der Kläger (z.B. die
klagende Opposition) ist der Angreifer, der Beklagte (die
Bundesregierung, die den Gesetzentwurf verantwortet) ist der
Verteidiger. Nach den prozessualen Regeln muss der Angreifer erst
einmal Argumente für seine These liefern, das Gesetz sei
verfassungswidrig.
Und dann müssten die Gegner endlich Butter bei die Fische tun.
Es reicht ab diesem Punkt eben nicht mehr aus, mit Leerformeln wie „desaströs“ zu arbeiten.
Selbstverständlich wird es bei unterstelltem Einsatz von Uploadfiltern „False Positives“ geben. Aber im Verfassungsrecht gilt das Prinzip der praktischen Konkordanz. Und das bedeutet, der de lege ferenda durch False Positives entstehende Schaden für die Meinungsfreiheit müsste gegen den de lege lata bereits existierenden und jeden Tag wachsenden Schaden für die Eigentumsfreiheit der Urheber abgewogen werden. Letzterer ist auch unter dem Begriff Value Gap bekannt und wissenschaftlich schon recht gut untersucht (Bsp.: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-20265-1_12).
Zu dem erwarteten Schaden durch False Positives gibt es hingegen nur eine Menge belegfreie Glaskugelei der Art.-13-Gegner. Wobei Glaskugelei schon zu viel gesagt ist, denn der Schaden wird ja einfach nur behauptet, ohne ihn irgendwie zu konkretisieren oder zu begründen.
FAZIT: Entwarnung
Ich persönlich
vermute, dass das Problem maßlos überschätzt wird und will auch
erklären, warum. Man stelle sich eine gigantische Torte vor. Diese
Torte ist der globale zwischenmenschliche Austausch über alle
denkbaren Kanäle von Buschtrommeln bis Satellitenhandy. Von dieser
Torte ist m.E. nur ein eher kleiner Teil internetgestützt. Von
diesem internetgestützten Teil entfällt wiederum nur ein kleiner
Teil auf die von Art. 13 Copyright-Richtlinie erfassten Plattformen.
Von diesem kleineren Stück eines kleineren Stücks beinhaltet jetzt
wiederum nur ein kleiner Bruchteil Drittcontent. Von diesem Bruchteil
eines Bruchteils eines Bruchteils werden die gefürchteten Filter
wiederum nur einen Bruchteil erfassen und nur ein Bruchteil davon
wird letztendlich tatsächlich „False Positives“ aufweisen.
Unter dem Strich wird durch False Positives also nur ein verschwindend geringer Teil der globalen Gesamtkommunikation erfasst. Ein Verfassungsgericht, welches diesen Schaden gegenüber dem Schaden des Value Gap abwägt, wird auch in Rechnung ziehen, dass das Kommunikationshindernis durch Filterung ja kein endgültiges ist, denn der von einer solchen Filterung Betroffene hat andere Möglichkeiten seine Meinung zu äußern, nämlich
den in der Richtlinie vorgesehenen Redress-Mechanismus (Art. 13 Abs. 8);
den Rechtsweg;
die Möglichkeit, seine Meinung ohne das für die Filter problematische Beiwerk auf demselben Wege noch mal zu posten (der U aus unserem Ausgangspunkt schreibt dann eine Videotafel mit dem Inhalt die „GroKo ist imperialer als der Todesstern“ und lädt sie hoch) oder
die Veröffentlichung seiner Meinung über einen anderen Kanal (nicht von Art. 13 erfasste Plattform oder außerhalb des Internets).
Zieht man hierzu
auch noch die diversen Safeguards der Richtlinie in Betracht, wie
z.B. den Verweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 13 Abs.
4 a), die ausdrückliche Ausnahme von Schrankenbestimmungen zu Zitat,
Parodie etc. (Art. 13 Abs. 5), das Verbot genereller Überwachung
(Art. 13 Abs. 7) und die Ausnahmen für Startup-SMEs, kann ich mir
ehrlich gesagt kaum vorstellen, dass der zu erwartende Schaden für
die Meinungsfreiheit als so „desaströs“ eingeschätzt wird, dass
er durch die Eindämmung des „Value Gap“ nicht aufgewogen wird.
Dabei wird
möglicherweise auch eine Rolle spielen, dass die
Bundesverfassungsrichterinnen und –richter alle in einem Alter
sind, welches es ihnen ermöglicht, sich daran zu erinnern, dass es
auch schon vor dem Internet möglich war, Meinungsaustausch zu
betreiben. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Richterschaft
sich von dem so gern vorgebrachten Argument beeindrucken lässt, es
handele sich bei ihr um einen Haufen alter Menschen, die das Internet
nicht verstanden haben. Für mich übrigens nebenbei gesagt eine
besonders platte und bösartige Form von Ageismus. Man könnte
genauso gut oder vielmehr schlecht behaupten, netzaffine, junge
Menschen hätten die Fähigkeit verloren, über den Tellerrand des
Internets hinauszuschauen.
Leider ist eine Debatte in dieser analytischen Tiefe derzeit nicht mehr möglich und zwar spätestens seit MdEP Julia Reda auf die geniale Idee verfallen ist, mit platten Lügen wie „Memes werden verboten“ Teenager zur politischen Beeinflussung ihrer Eltern zu instrumentalisieren.
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TL;DR: Alle
Gegner des Art. 13 reden von Zensur und den „desaströsen“
Auswirkungen der zu erwartenden Uploadfilter, dabei
ist die
Frage der Einrichtung wie auch der genauen Konfiguration der Filter
(nur Maschine oder Mensch & Maschine) letztlich eine autonome
Entscheidung der Plattformen;
ist die
angebliche Desaströsität für die Meinungsfreiheit nicht nur
völlig unbelegt, sondern auch noch kontraintuitiv und
würde diese bei einer verfassungsrechtlichen Überprüfung mit den
Schäden durch den Value Gap abgewogen werden;
sind
Uploadfilter beim besten Willen keine Zensur im rechtlichen Sinne.
_________ [edit, mh 4,3,2019] ___________
Liebe Kommentierende,
leider lassen es meine Familie und meine beiden Brotberufe nicht zu, mich angemessen mit Ihren Kommentaren auseinanderzusetzen. Ich bitte daher um Verständnis, wenn ich nicht mehr selbst in die Debatte eingreife. Ich freue mich aber, dass mein Beitrag offensichtlich zu weiterem Nachdenken angeregt hat. Bitte missverstehen Sie mein Schweigen nicht als mangelnde Wertschätzung Ihrer Kommentare.
Diesmal war ich im Fernsehen, oder vielmehr war das Fernsehen bei mir, sodass es hier auch einen ersten visuellen Eindruck vom neuen Studio gibt. Der 3Sat-Redaktion Kulturzeit habe ich einige Fragen zur Urheberrechtsrichtlinie beantwortet, deren Entstehungsprozess ich seit einigen Jahren begleite.
Wer sich für weitere Details und für den Diskurs rund um dieses zukunftsweisende EU-Projekt interessiert, der sollte sich dieses Interview des WELT-Journalisten Christian Meier mit dem Sprecher der Initiative Urheberrecht, Prof. Gerhard Pfennig anhören (ab Min. 15). Da wird ganz Grundlegendes erklärt, und insbesondere vieles von dem, was nirgendwo sonst zu finden ist. Auf meiner Facebookseite gibt es zudem eine ganze Reihe öffentlicher Einträge dazu; nicht alles davon findet seinen Weg auf diese Seite.
Die Neue Musikzeitung NMZ hat mich um einen Nachschlag zur EU-Urheberrechtsrichtlinie gebeten, von der ja nun, Stand 5.2.2019, immer noch niemand weiß, ob und wenn wie.
Ein frohes, gesundes & sorgenfreies neues Jahr, allerseits!
Mein Jahr beginnt wirklich nicht schlecht. Ich bin kurz vor Jahresende umgezogen, habe über den Jahreswechsel meine neuen Studio- und Wohnräume eingerichtet und freue mich nun auf berufliche Reisen, politische Arbeit an wichtigen Themen, alte und neue Lehraufträge sowie musikalische Projekte in den Bereichen Film, Radio und möglicherweise, nach langer Zeit, mal wieder Theater.
Die Pause ist vorbei. Allerdings schon seit Anfang September.
Viereinhalbtausend Kilometer nach Beginn der Pause ging es gleich wieder kopfüber in die Branchenpolitik in Brüssel, Berlin, Düsseldorf, Wuppertal, Hamburg, Köln und München. Zudem Hochschullehre in Hildesheim, Köln und Mannheim sowie Vorträge, Artikel, Moderationen, Veranstaltungskuratierung.
Auf dem Reeperbahn Festival haben mein großartiger Kollege und langjähriger Mitstreiter Micki Meuser und ich eine Auszeichnung für unser Engagement fürs Urheberrecht erhalten, die neu geschaffene „Herzblut-Medaille“ des IMUC / Interessenverband Musikmanager & Consultants e.V. Das kam komplett unerwartet und so haben wir uns beide umso heftiger darüber gefreut. Danke an Wolfgang Weyand und den IMUC-Vorstand!
Ach so: Und ich bin umgezogen.
Nichts Großes, nur 170 Umzugskisten & 2 LKWs. Plus Studio …
Zur Zeit bin ich dabei, mein Studio in den neuen Räumen einzurichten; ab Januar muss es sich bei einer Kinodoku bewähren.
Das EU-Parlament ringt um die lange versprochene und längst überfällige Urheberrechtsrichtlinie, die den sogenannten Value Gap beenden soll. Der vom Rechtsausschuss vorgelegte, in mehrjährigen Verhandlungen der beteiligten Stakeholder erarbeitete Entwurf der Richtlinie ist am 5. Juli vom Parlament nicht akzeptiert und daher auch nicht in den sogenannten Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission gegeben worden. Der Entwurf soll nun im September 2018 neu beraten und auf der Basis von dann möglichen Änderungsanträgen aus dem Parlament ggf. überarbeitet werden.
Dieser Artikel beleuchtet die Hoffnung der Berufsurheber auf eine derartige Reform und analysiert Status Quo, Interessenlagen und Strategien der betroffenen Plattformen. Da eine Gesamtbetrachtung hier nicht in vertretbarem Umfang zu leisten ist, liegt der Fokus auf Rechteinhaberseite auf der Musik.
Dieser Text basiert auf meinen Gastbeitrag DIE ZENSURLÜGE, der in der c‘t 16/18 erscheint.
Wovon Musikurheber leben … Musik funktioniert arbeitsteilig. Die einen komponieren und texten, die andern singen, spielen und nehmen auf. Ein klares Prinzip mit Ausnahmen („Selbstaufführer“), in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Das Prinzip bildet sich auch im Recht ab: Den Autoren gehört das Urheberrecht, den Interpreten ein Leistungsschutzrecht; beide sind sowohl Ausdruck eigentumsrechtlicher wie auch persönlichkeitsrechtlicher Ansprüche.
Für Nutzungen müssen beide Rechte lizenziert und „angemessen“ vergütet werden; das passiert i.d.R. über Verwertungsgesellschaften (VG) wie die GEMA. Da Kompositionsarbeit im Regelfall unvergütet ist, machen die VG-Ausschüttungen als einzige erzielbare Einnahmen bis zu ¾ der Jahreseinnahmen professioneller Musikautoren aus.
… und wovon sie nicht leben können: #ValueGap YouTube ist heute der größte Musikverwerter der Welt. Auf der Plattform finden lizenzpflichtige Nutzungen in Rekordumfängen statt – ohne dass der Betreiber aber eine Lizenzpflicht anerkennt. Jahrelang blieben die erfolgten Nutzungen vollständig unvergütet („Entrechtlichung“), Einladungen zu den Monetarisierungsmechanismen der Plattform erhalten nur wenige Ausgewählte; der Zugang zu den Inhalten ist kostenfrei. Anbieter, die ihrer gesetzlichen Lizenz- und Vergütungspflicht nachkommen wollen, darunter die europäischen Streamingdienste Deezer und Spotify, sind damit einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung ausgesetzt. Kein Wunder, dass bislang kein Bezahldienst YouTube das Wasser reichen kann. Wer seine Musik auf YouTube vermarkten will, liefert sich der Plattform bedingungslos aus und lässt sich auf ein einseitig ausgestaltetes, jederzeit veränderbares und kündbares AGB-Geschäftsmodell ein. Das ist das, was ich als digitalen Feudalismus beschreibe.
User bzw. Uploader haben auf User-Uploaded-Content (UUC)-Plattformen übrigens keinerlei Rechte; durch Bestätigung der zum Upload nötigen AGB übernehmen sie jedoch die volle Haftung für die Inhalte.
Wie kann das sein?
Digitale politische Ökonomie – Privatisierung der Rechtsprechung In seinem Paper „Digitaler Kapitalismus – Wie zähmen wir die Tech-Giganten?“ (Friedrich-Ebert-Stiftung 2018) beschreibt der US-Jurist Frank Pasquale, wie sich Gesellschaften entwickeln, die die Staatsgewalt im digitalen Raum aufgeben und Plattformen unreguliert Macht akkumulieren lassen. In der „digitalen politischen Ökonomie“ seien die Menschen „zunehmend einer unternehmerischen statt einer demokratischen Herrschaft unterworfen“, wenn das Ausmaß an Macht eines Privatunternehmens dieses vom Marktteilnehmer zum Marktorganisator und zur einzigen Oberaufsicht werden lasse. Marktteilnehmer unterwürfen sich notgedrungen deren Hausrecht (so wie für YouTube zuvor geschildert, vergleichbar auch Amazon, eBay, Facebook etc.).
In dieser „funktionalen Souveränität“ der Plattformen führe deren schiere Marktmacht zu einer „Privatisierung der Rechtsprechung“. Nur eine politische Ordnung könne die Plattformen davon abhalten, „die territoriale Regierungsgewalt im Herzen der Demokratie weiter zu unterminieren“. Es bedürfe eines sektorenübergreifenden und interdisziplinären Ansatzes, damit der „Zweck und die Macht der staatlichen Regulierung von Handel im Zeitalter des digitalen Kapitalismus wiederhergestellt werden“ könne.
„Private, not public“: Konzernbesitz ohne Verantwortungszuweisung. „Naturally, as these companies grew and matured, two threats to their business loomed large: copyright and privacy.“
Lobbying 2.0 Dass den Plattformen daran gelegen ist, Regulierung zu verhindern, liegt auf der Hand. Die intensiven Bemühungen bleiben von der Öffentlichkeit erstaunlicherweise quasi unbemerkt. Dabei ist die Öffentlichkeit die durchschlagende Waffe der bestens ausgestatteten Plattformlobby.
In seinem Essay „All EFF‘d Up. Silicon Valley‘s astroturf privacy shakedown.“ (The Baffler Juli 2018) portraitiert der amerikanische Investigativjournalist Yasha Levine die mächtige EFF / Electronic Frontier Foundation und ihre Geldgeber, allen voran: Google. Während Google und Facebook ein System privatwirtschaftlicher Totalüberwachung und unvergüteter Inhaltenutzung ausrollten, schafften es die Mietaktivisten im einhornfarbenen Jäckchen digitaler Bürgerrechtler, ein Narrativ von Freiheit und Gleichheit zu etablieren. Die zentrale EFF-Agenda heißt „Private, not public“: Konzernbesitz ohne Verantwortungszuweisung. „Naturally, as these companies grew and matured, two threats to their business loomed large: copyright and privacy.“
Spätestens 2011, mit SOPA und PIPA, entstand das, was die New York Times später als „Lobbying 2.0“ bezeichnete. Mit Google an der Spitze zogen die Konzerne in eine epische Abwehrschlacht der Freiheitsliebenden gegen staatlichen Totalitarismus, gegen die Bedrohung der Meinungsfreiheit, gegen „Government Censorship“ ohne Anrufung von Gerichten. Hier sei so viel vom Besten am Internet bedroht; Menschen würden ins Gefängnis kommen, nur weil sie bestimmte Inhalte online gestreamt hätten … Im Übrigen würden solche Gesetze Piraterie ohnehin nicht beenden können – und das Urheberrecht helfe ja eh nur den Großen!
Alles aufs Wort vertraut und herunterzubrechen auf eine zentrale Formel:
Plattformen = gut, freiheitlich, #Fortschritt Staat = gefährlich, totalitär, #Neuland
Unverkennbar ein Glaubensbekenntnis, und das bedeutet: Nicht verhandelbar. Im Glaubenskrieg gilt: Bist Du nicht für uns, bist Du gegen uns.
Die amerikanische Aktivistenseite Music Tech Policy kommt nach einer Analyse der Kampagne gegen Artikel 13 zu folgendem Schluss: „… the most important thing for the European Commission to take into account is that a company that is the target of multiple investigations is using the very market place monopoly that caused the competition investigations to intimidate the European government into bending to its will on Article 13.“ „Advocates need to understand that Google is a deadly force and this is the endless war. Good arguments are clearly not enough anymore, particularly as long as the government and law enforcement do nothing to protect democratic values from bully boy tactics.“
Harter Tobak.
Zensurmaschine?
Nun liegt dem EU-Parlament nach langer, mühsamer Vorarbeit und dem Einbezug aller Stakeholder ein Richtlinienentwurf vor, der das Vorhalten von Inhalten auf Plattformen wie YouTube als einen „act of communication to the public“ definiert und damit lizenz- und vergütungspflichtig macht: Ein regulatorischer Eingriff in die bisherige faktische Autonomie der Plattformen aufgrund ihrer traditionellen Haftungsprivilegierung im europäischen Recht.
Das Ende des Value Gap.
Der Endboss für GAFA.
Zeit für drastische Maßnahmen.
Auf der Kampagnenseite #saveyourinternet.eu, finanziert u.a. von der EFF, heißt es recht hübsch und in einfacher Sprache: „Die Europäische Kommission und der Rat wollen das Internet, wie wir es kennen, zerstören (sic!) und es den großen Unternehmen ermöglichen (sic!) zu kontrollieren, was wir online sehen und tun. Sollte Artikel 13 des Vorschlags zur Urheberrechtsrichtlinie angenommen werden, wird er eine weit verbreitete Zensur (sic!) all jener Inhalte vorschreiben (sic!), die Sie online teilen. Nur das Europäische Parlament kann jetzt noch eingreifen und Ihr Internet retten.“
Herrje. „Zensurmaschinen“ qua Gesetz, also. Wenn wir mal davon absehen, dass „Zensur“ laut Wikipedia „in der Regel durch staatliche Stellen“ vorgenommen wird (was hier nicht geschehen wird) und stets eine Abwägung der Inhalte voraussetzt (die es hier nicht geben darf), ist das ein erschütternd verantwortungsloses Framing: Wollen wir ernsthaft Katzenbildermemes in ihrer freiheitlichen Bedeutung gleichsetzen mit der drastischen Einschränkung der Freiheitsrechte, die sich durch Eingriffe in Presse- und Meinungsfreiheit ergibt – in diesem Moment, rings um uns herum? Wie sollen wir denn noch Alarm! rufen, wer soll darauf noch hören, wenn es bei uns mal tatsächlich um Zensur gehen sollte?
Das Ganze ist so unfassbar idiotisch. Ausgerechnet Google und Facebook brauchen nun wahrhaftig keinen gesetzlichen Anstoß, um absolut alles, „was wir online sehen und tun“, zu finden und zu speichern: Sie sammeln, sichten, sieben und sortieren. Das ist ihr Geschäft. Dutzendfach ist belegt, in welch drastischem Umfang die Plattformen dabei von sich aus Inhalte bewerten, gewichten, sortieren – und mit schöner Regelmäßigkeit auch aussortieren. Dass es auf YT wie FB keine nackten Brüste zu sehen gibt (übrigens Ergebnis automatisierter algorithmischer Uploadfilter), ist dabei eine eher harmlose Selbstverständlichkeit, die wir Europäer mit einem „Naja, die spießigen Amis, halt!“ quittieren. Wenn aber die New York Times beschreibt, dass YouTubes Empfehlungsalgorithmus die User mit signifikanter Regelmäßigkeit zu politisch extremen bis radikalen Inhalten führt, dann muss das Fazit denkende Menschen beunruhigen: „YouTube may be one of the most powerful radicalizing instruments of the 21st century“.
Die Plattformen sind nicht neutral, weder im Kampf gegen Regulierung, noch im Umgang mit den Inhalten. Ihr größtes Eigeninteresse liegt darin, uns im eigenen Ökosystem zu halten – und das geht am besten über Erregung.
Um es klar zu sagen: FÜR grundgesetzlich verbotene Zensur gibt es im Rechtsstaat keine validen Argumente. Und auch nicht in Artikel 13, denn der hat damit überhaupt nichts zu tun. Der Entwurf gibt sehr genau vor, was und was nicht getan werden darf, um das Vorliegen von Lizenzen zu detektieren. Inhalte in irgendeiner Form inhaltlich zu bewerten gehört genau so wenig dazu wie jede Form von „Monitoring“; ebenso ist die Erhebung personenbezogener Daten untersagt.
Das „Overblocking“-Argument gegen möglicher Filter ist nicht nur bigott, weil es diese längst gibt – ganz ohne öffentlichen Aufschrei. Es lässt sich zudem durch einen Blick in den Entwurfstext schnell entkräften: Artikel 13 verpflichtet die Plattformen zu schnellen, klaren und plausiblen Begründungen für etwaige „False Positives“, Fehldetektionen des Algorithmus also, und verpflichtet die Plattformbetreiber, effiziente Beschwerde- und Entschädigungsmechanismen für Uploader zu schaffen, um Missbrauch oder Beeinträchtigungen in der Umsetzung vorhandener Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts zu vermeiden. Sogar ein Recht zu klagen ist in Artikel 13 aufgeführt. Ein Recht! Für User!
Leistungsverweigerung
Dieses nicht ganz unbedeutende Detail war in der Presseberichterstattung bislang nicht zu finden. Was möglicherweise daran liegen könnte, dass es kaum Pressetexte gibt, die sich überhaupt auf die aktuelle Version des Entwurfstextes beziehen. Soweit nachvollziehbar, basiert der gesamte Protest wie auch quasi die gesamte Berichterstattung auf einem zwei Jahre alten Richtlinienentwurf der Kommission – und nicht auf dem vom Rechtsausschuss und seinem zuständigen Berichterstatter Axel Voss erarbeiteten und enorm umsichtig gestalteten Entwurf.
Flashback ACTA, 2012: Anhand einer veralteten Entwurfsfassung wurde Falsches behauptet, während über Wesentliches gar nicht erst berichtet wurde.
Systemversagen? Auch über das hier hätte aktuell berichtet werden müssen: Alleine Google hat britischen Quellen zufolge mehr als 30 Mio.€ in das Lobbying gegen die Artikel 11 (Presseleistungsschutzrecht) und 13 investiert. Das ist angesichts des Geschäftsgebarens von Google sicher keine sehr verlässliche Zahl, dennoch ist klar, dass der Konzern neben 14 Mitarbeitern im eigenen EU-Lobbybüro mindestens acht Unternehmensberatungen beschäftigte. Zudem haben EFF und rund 20 weitere Organisationen für ihre Lobbybemühungen in ganz Europa rund 24 Mio. € ausgegeben.
Freiheit!tm Wer bei diesem zentral orchestrierten, privatwirtschaftlich finanzierten Empörungsevent noch an einen altruistisch-idealistischen Kampf für die Freiheit glaubt und dabei nicht das undemokratische Missverhältnis der Kräfte sieht, der sollte seine Vorstellung von Freiheit prüfen. Der Freiheitsbegriff im Zentrum all dieser Auseinandersetzungen entspricht schlechterdings nicht unserem verfassungsgemäßen Verständnis, sondern ist vielmehr Auswuchs einer libertären, antistaatlichen Grundhaltung US-amerikanischer Prägung. Während das kontinentaleuropäische Freiheitskonzept sich wesentlich auf das Prinzip der Menschenwürde konzentriert, welche notfalls auch durch den Staat zu schützen ist, gilt der Schutzanspruch des libertären Geistes dem Schutz des Individuums vor dem Staat. Unvereinbar, in der Diskussion ums Digitale aber unentwirrbar verknotet.
So wie die Aspekte Überwachung, Zensur und Rechtsdurchsetzung.
Mit der EU Copyright Directive im Entwurf des Rechtsausschusses werden den Plattformen Lizenzierungspflichten auferlegt, die nicht nur einem Marktversagen begegnen sollen (indem sie den Marktplatz wieder zum Marktteilnehmer machen), sondern darüber hinaus auch die User vollständig aus der Schusslinie nehmen. Jubelnde EU-Parlamentarier wie Sven Giegold (Grüne) oder Tiemo Woelken (SPD) müssen sich fragen lassen, ob sie überhaupt verstanden haben, worum es hier tatsächlich geht.
Wenn Politiker ihr liberales Weltbild zugunsten eines libertären Weltbilds US-amerikanischer Prägung aufgeben ohne es zu merken, wenn die „User“, die eigentlich „Bürger“ sind und als solche Rechte haben, sich einmal mehr zum willigen Vollstrecker ihres eigenen Schicksals machen lassen, dann müssen wir uns größte Sorgen machen um zwei unserer höchsten Güter: die Demokratie und den Rechtsstaat.
„Advocates need to understand that Google is a deadly force and this is the endless war.“
Digitaler Scheinriese
Beide geraten übrigens nicht nur durch diejenigen unter Druck, die sich einspannen lassen, sondern ebenso durch diejenigen, die vor einem überwältigend lauten virtuellen Gegner einknicken, nicht bedenkend, dass mit digitalen Mitteln sehr wenige sehr einfach sehr laut werden können. Immer wieder wurde in der Vergangenheit die 90-9-1-Regel für die Partizipation im Netz empirisch bestätigt: 90% konsumieren, 9% clicken „gefällt mir!“, 1% lädt hoch. Da ist es doch überaus bedenklich, dass ausgerechnet diejenigen, die (zurecht) am lautesten darauf pochen, dass es „laute Minderheiten“ seien, die mit rechtsradikalen Äußerungen die Kommentarspalten dominieren, das undifferenzierte Getöse einer zugegebenermaßen lauten digitalen Minderheit als Sieg der Demokratie feiern.
Das Gegenteil ist der Fall: Wir verlieren die Demokratie, wenn wir ihre zentralen kommunikativen Techniken des Austauschs und Ausgleichs sowie nicht zuletzt auch des Minderheitenschutzes aufgeben. Genau das aber tun wir, wenn wir uns auf die gegenwärtige Entsachlichung der Politik weiter einlassen und einer reinen, oft manipulativen Emotionalisierung Vortrieb leisten. Politikgestaltung braucht Wissensbasierung, validierbare Information und sorgfältige Abwägung. Lautes, undifferenziertes Geschrei ist ihr Feind. Ebenso die Feigheit vor diesem Feind, denn der ist höchstwahrscheinlich ein digitaler Scheinriese.